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Der Verschollene

Der Verschollene

Titel: Der Verschollene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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vertrau- enswürdig erschienen, weil sie ohne verständlichen Grund angezogen schliefen, der eine hatte sogar seine Stiefel an.
    In dem Augenblick, als Karl die Luke freigelegt hatte, hob einer der Schläfer die Arme und Beine ein wenig in die Höhe, was einen derartigen Anblick bot, daß Karl trotz seiner Sorgen in sich hineinlachte.
    Er sah bald ein, daß er, abgesehen davon, daß auch keine andere Schlafgelegenheit, weder Kanapee noch So- pha, vorhanden war, zu keinem Schlafe werde kommen können, denn er durfe seinen erst wiedergewonnenen Koffer und das Geld, das er bei sich trug, keiner Gefahr aussetzen. Weggehn aber wollte er auch nicht, denn er getraute sich nicht, an der Zimmerfrau und dem Wirt vorüber das Haus wieder gleich zu verlassen. Schließlich war es ja hier doch vielleicht nicht unsicherer als auf der Landstraße. Auffallend war freilich, daß im ganzen Zim- mer, soweit sich das bei dem halben Licht feststellen ließ, kein einziges Gepäckstück zu entdecken war. Aber vielleicht und höchstwahrscheinlich waren die zwei jun- gen Leute die Hausdiener, die der Gäste wegen bald aufstehn mußten und deshalb angezogen schliefen. Dann war es allerdings nicht besonders ehrenvoll mit ihnen zu schlafen, aber desto ungefährlicher. Nur durfe er sich aber, solange das wenigstens nicht außer jedem Zweifel war, auf keinen Fall zum Schlafe niederlegen.
      Unten vor dem einen Bett stand eine Kerze mit Zünd- hölzchen, die sich Karl mit schleichenden Schritten hol- te. Er hatte keine Bedenken Licht zu machen, denn das Zimmer gehörte nach Aufrag des Wirtes ihm ebenso gut wie den zwei andern, die überdies den Schlaf der halben Nacht schon genossen hatten und durch den Be- sitz der Betten ihm gegenüber in unvergleichlichem Vor- teil waren. Im übrigen gab er sich natürlich durch Vor- sicht beim Herumgehn und Hantieren alle Mühe, sie nicht zu wecken.
      Zunächst wollte er seinen Koffer untersuchen um ein- mal einen Überblick über seine Sachen zu bekommen, an die er sich schon nur undeutlich erinnerte und von denen sicher das Wertvollste schon verlorengegangen sein dürfe. Denn wenn der Schubal seine Hand auf et- was legt, dann ist wenig Hoffnung, daß man es unbe- schädigt zurückbekommt. Allerdings hatte er vom On- kel ein großes Trinkgeld erwarten können, während er aber anderseits wieder beim Fehlen einzelner Objekte sich auf den eigentlichen Kofferwächter, den Herrn But- terbaum hatte ausreden können.
      Über den ersten Anblick beim Öffnen des Koffers war Karl entsetzt. Wieviele Stunden hatte er während der Überfahrt darauf verwendet, den Koffer zu ordnen und wieder neu zu ordnen und jetzt war alles so wild durch- einander hineingestopf, daß der Deckel beim Öffnen des Schlosses von selbst in die Höhe sprang. Bald aber erkannte Karl zu seiner Freude, daß diese Unordnung nur darin ihren Grund hatte, daß man seinen Anzug den er während der Fahrt getragen hatte, und für den der Koffer natürlich nicht mehr berechnet gewesen war, nachträglich mit eingepackt hatte. Nicht das geringste fehlte. In der Geheimtasche des Rockes befand sich nicht nur der Paß sondern auch das von zuhause mitgenom- mene Geld, sodaß Karl, wenn er jenes, das er bei sich hatte, dazu legte, mit Geld für den Augenblick reichlich versehen war. Auch die Wäsche, die er bei seiner An- kunf auf dem Leib getragen hatte, fand sich vor, rein gewaschen und gebügelt. Er legte auch sofort Uhr und Geld in die bewährte Geheimtasche. Das einzig Bedau- erliche war, daß die Veroneser Salami, die auch nicht fehlte, allen Sachen ihren Geruch mitgeteilt hatte. Wenn sich das nicht durch irgendein Mittel beseitigen ließ, hat- te Karl die Aussicht monatelang in diesen Geruch einge- hüllt herumzugehn.
    Beim Hervorsuchen einiger Gegenstände die zu un- terst lagen, es waren dies eine Taschenbibel, Briefpapier und die Photographien der Eltern, fiel ihm die Mütze vom Kopf und in den Koffer. In ihrer alten Umgebung erkannte er sie sofort, es war seine Mütze, die Mütze, die ihm die Mutter als Reisemütze mitgegeben hatte. Er hat- te jedoch aus Vorsicht diese Mütze auf dem Schiff nicht getragen, da er wußte, daß man in Amerika allgemein Mützen statt Hüte trägt, weshalb er die seine nicht schon vor der Ankunf hatte abnützen wollen. Nun hatte sie allerdings Herr Green dazu benützt um sich auf Karls Kosten zu belustigen. Ob ihm dazu vielleicht der Onkel auch den Aufrag gegeben hatte? Und in einer unab- sichtlichen

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