Der Verschollene
Teil des Hauses beleuchtet war, konnte man gar nicht bemessen, wie weit es in die Höhe reichte. Vorne rauschten Kastanienbäume, zwischen denen – das Gitter war schon geöffnet – ein kurzer Weg zur Freitreppe des Hauses führte. An seiner Müdigkeit beim Aussteigen glaubte Karl zu bemerken, daß die Fahrt doch ziemlich lang gedauert hatte. Im Dunkel der Kastanienallee hörte er eine Mädchenstimme neben sich sagen: "Da ist ja endlich der Herr Jakob. " "Ich heiße Roßmann", sagte Karl und faßte die ihm hingereichte Hand eines Mädchens, das er jetzt in Umrissen erkannte. "Er ist ja nur Jakobs Neffe", sagte Herr Pollunder erklärend, "und heißt selbst Karl Roßmann. " "Das ändert nichts an unserer Freude, ihn hierzuhaben", sagte das Mädchen, dem an Namen nicht viel lag. Trotzdem fragte Karl noch, während er zwischen Herrn Pollunder und dem Mädchen auf das Haus zuschritt: "Sie sind das Fräulein Klara?" "Ja", sagte sie und schon fiel ein wenig unterscheidendes Licht vom Hause her auf ihr Gesicht, das sie ihm zuneigte, "ich wollte mich aber hier in der Finsternis nicht vorstellen. " Ja hat sie uns denn am Gitter erwartet? dachte Karl, der im Gehen allmählich aufwachte. "Wir haben übrigens noch einen Gast heute abend", sagte Klara. "Nicht möglich! " rief Pollunder ärgerlich. "Herrn Green", sagte Klara. "Wann ist er gekommen?" fragte Karl wie in einer Ahnung befangen. "Vor einem Augenblick. Habt Ihr denn sein Automobil nicht vor dem Eueren gehört?" Karl sah zu Pollunder auf, um zu erfahren, wie er die Sache beurteile, aber
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der hatte die Hände in den Hosentaschen und stampfte bloß etwas stärker im Gehn. "Es nützt nichts nur knapp außerhalb Newyorks zu wohnen, von Störungen bleibt man nicht verschont. Wir werden unsern Wohnsitz unbedingt noch weiter verlegen müssen. Und sollte ich die halbe Nacht durchfahren müssen ehe ich nachhause komme. " Sie blieben an der Freitreppe stehn. "Aber Herr Green war doch schon sehr lange nicht hier", sagte Klara, die offenbar mit ihrem Vater gänzlich einverstanden war, ihn aber über sich heraus beruhigen wollte.
"Warum kommt er dann gerade heute abend", sagte Pollunder und die Rede rollte schon wütend über die wulstige Unterlippe, die als loses schweres Fleisch leicht in große Bewegung kam.
"Allerdings!" sagte Klara. "Vielleicht wird er bald wieder weggehn", bemerkte Karl und staunte selbst über das Einverständnis, in welchem er sich mit diesen noch gestern ihm gänzlich fremden Leuten befand. "Oh nein", sagte Klara, "er hat irgend ein großes Geschäft für Papa, dessen Besprechung wahrscheinlich lange dauern wird, denn er hat mir schon im Spaß gedroht, daß ich wenn ich eine höfliche Hauswirtin sein will, bis zum Morgen werde zuhören müssen. " "Also auch das noch. Dann bleibt er über Nacht", rief Pollunder, als sei damit endlich das Schlimmste erreicht. "Ich hätte wahrhaftig Lust", sagte er und wurde freundlicher durch den neuen Gedanken,
"ich hätte wahrhaftig Lust, Sie Herr Roßmann wieder ins Automobil zu nehmen und zu Ihrem Onkel zurückzubringen.
Der heutige Abend ist schon von vornherein gestört und wer weiß wann Sie uns nächstens Ihr Herr Onkel wieder überläßt.
Bringe ich Sie aber heute schon wieder zurück, so wird er Sie uns nächstens doch nicht verweigern können. " Und er faßte Karl schon bei der Hand, um seinen Plan auszuführen. Aber Karl rührte sich nicht und Klara bat, ihn hierzulassen, denn zumindestens sie und Karl würden von Herrn Green nicht im geringsten gestört werden können und schließlich merkte auch Pollunder, daß selbst sein Entschluß nicht der festeste war.
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Überdies – und dies war vielleicht das Entscheidende – hörte man plötzlich Herrn Green vom obersten Treppenaufsatz in den Garten hinunterrufen: "Wo bleibt ihr denn?" "Kommt", sagte Pollunder und bog auf die Freitreppe ein. Hinter ihm giengen Karl und Klara, die einander jetzt im Licht studierten. "Die roten Lippen die sie hat", sagte sich Karl und dachte an die Lippen des Herrn Pollunder und wie schön sie sich in der Tochter verwandelt hatten. "Nach dem Nachtmahl", so sagte sie,
"werden wir wenn es Ihnen recht ist gleich in meine Zimmer gehn, damit wir wenigstens diesen Herrn Green los sind, wenn schon Papa sich mit ihm beschäftigen muß. Und Sie werden dann so freundlich sein mir Klavier vorzuspielen, denn Papa hat schon erzählt, wie gut Sie das treffen, ich aber bin leider ganz unfähig Musik auszuüben und rühre mein Klavier
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