Pelbar 2 Die Enden des Kreises
EINS
Von der Westmauer des Rive-Turms in der Stadt Pelbarigan am Heart beugte sich ein junger Gardist im strahlenden Licht der Wintersonne, die tief im Westen stand und von den Schneefeldern jenseits des Flusses reflektiert wurde, hinaus und gähnte. Weit draußen auf dem Fluß schnitt eine Gruppe von Pelbar Eis, sie hinterließ große Quadrate dunklen Wassers im Grau, die Blöcke wurden zum Ufer geschleppt, von wo man sie in die Höhlen unter der Stadt bringen würde, um sie dort für die kommende Sommerhitze zu lagern.
»Ahroe, du paßt nicht auf«, sagte der Gardist.
»Dein Mann ist jetzt viermal gestürzt. Er ist müde.
Die Dahmens gehen zu hart mit ihm um. Er wird sich nie beugen. Ich kenne ihn. Er ist ein guter Mann, aber unglaublich eigensinnig.«
Ahroe sagte nichts darauf. Sie blickte unverwandt flußaufwärts, dorthin, wo ein dünner Schleier von Holzrauch über die Bäume am Uferfelsen aufgestiegen war und wie Tüll auf der unbewegten Luft lag.
»Ahroe«, sagte Erasse. Sie drehte sich nicht um. Er zuckte die Achseln und blickte weg.
Weit draußen auf dem Eis sprach Stel, seit zwölf Wochen Ahroes Gatte, leise mit Ruudi, seinem Vetter.
»Es ist keine neue Welt für mich, obwohl wir Frieden mit den Außenvölkern haben«, sagte er. »Es könnte kaum schlimmer sein.« Er schlug die Eisenklammer in den letzten, tropfenden Eisblock ein, stemmte sich dagegen und stieß den rutschenden und sich drehen-den Brocken zum Ufer.
»Denk nicht darüber nach. Wir sind zum Eisschneiden hier. Schau! Das Tauwetter hat das Eis über der Fahrrinne schon dunkel gefärbt. Du wirst es schon überleben.«
Stel lachte kehlig. »Du kannst schlafen in der Nacht. Und auch noch in einem Bett. Mit ein wenig Schlaf könnte ich noch neben dem schlimmsten Tantal, dem je Hörner gewachsen sind, Eis schneiden.«
»Du hast doch gewußt, was dir bevorsteht, wenn du eine Dahmen heiratest. Du hast dir dein Bett selbst gemacht. Ein Jammer, daß du jetzt nicht darin liegen darfst«, gluckste Ruudi.
»Na ja, es hat keinen Sinn, darüber zu reden, Ruudi. Ich werde nie so unterwürfig sein, wie sie es wollen. Das steckt nicht in mir. Ich habe es versucht – und da wir gerade von den Dahmens sprechen, da kommt eine.« Beide Männer blickten auf, als Aparet, die das Eisschneiden überwachte, näher kam. Sie war eine kleine Frau mit ergrauendem Haar, den ersten Fältchen um die Augen und scharf eingegrabenen Runzeln am Mund.
»Haltet euch mal ran!« begann sie. »Das Tauwetter setzt dieses Jahr früh ein. Stel, geh hinaus an den Rand des dunklen Eises und leg einen neuen Schnitt!
Wir wollen das Eis hier in der Nähe bekommen, ehe es von unten her wegschmilzt. Arbeitet euch nach rückwärts weiter, dann braucht ihr es bis zum Tor nicht so weit zu schleppen.«
Beide Männer hielten inne. »Da draußen ist es schon gefährlich, Aparet Dahmen«, sagte Stel. »Man kann sogar Luftblasen unter dem Eis sehen. Die Luft frißt von unten her. Ich fürchte, sie könnte ganz durchkommen.«
»Widersprichst du schon wieder? Das ist eine sehr deutliche Aufforderung, Stel. Du bist nicht so schwer, wie du glaubst. Ja, du bist sogar ziemlich leicht. Du wirst sehen.«
»Das stimmt. Bei meiner gegenwärtigen Ernährung wiege ich nicht viel. Aber leichtsinnig bin ich nicht.
Ich würde lieber auf dem hellen Eis arbeiten, als durch die dunkle Fahrrinne zu schwimmen.«
»Geh! Das ist mehr als eine Aufforderung. Jetzt ist es ein Befehl. Du gehörst nun zu einer neuen Familie, und ...«
»Erinnere mich nicht daran. Ich habe es nicht vergessen. Schon gut. Ich gehe. Komm mit und zeige mir, welche Stelle du meinst!«
»Ich meine es ernst, Stel. Ich bin drauf und dran, die Empfehlung zu geben, daß man dich aus Pelbarigan ausschließt. Alle Dahmens wissen, was Disziplin heißt.«
Stel zögerte. Er war sehr daran gewöhnt, zu gehorchen, denn dazu werden alle Pelbar erzogen, besonders die Männer, die sich aus Tradition und nach dem Gesetz den Befehlen der Frauen unterwerfen.
Aparet sagte nichts mehr. Stel hob ein Stoßeisen und eine Eissäge auf und ging auf das dunkle Eis zu, er schlitterte und hielt das lange Eisen quer vor sich.
»Aparet, warte!« begann Ruudi, aber sie hob die Hand und warf ihm einen strengen Blick zu. Stel blieb stehen und setzte das Stoßeisen aufs Eis.
»Hier?« rief er.
»Nicht da, das weißt du genau. Noch ungefähr fünfzehn Spannen weiter.«
Stel blieb einen Augenblick lang stehen, dann drehte er sich um und ging weiter nach
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