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Der Verschollene

Der Verschollene

Titel: Der Verschollene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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wegzuwerfen getrauten. Nun war der Mutter für den nächsten Morgen Arbeit bei einem Bau in Aussicht gestellt worden, aber sie fürchtete wie sie Therese den ganzen Tag über zu erklären suchte, die günstige Gelegenheit nicht ausnützen zu können, denn sie fühlte sich totmüde, hatte schon am Morgen zum Schrecken der Passanten auf der Gasse viel Blut gehustet, und ihre einzige Sehnsucht war, irgendwo in die Wärme zu kommen und sich auszuruhn. Und gerade an diesem Abend war es unmöglich ein Plätzchen zu bekommen. Dort wo sie nicht schon vom Hausbesorger aus dem Torgang gewiesen wurden, in dem man sich immerhin vom Wetter ein wenig hätte erholen können, durcheilten sie die engen eisigen Korridore, durchstiegen die hohen Stockwerke, umkreisten die schmalen Terassen der Höfe, klopften wahllos an Türen, wagten einmal niemanden anzusprechen, baten dann jeden der ihnen entgegenkam und einmal oder zweimal hockte die Mutter atemlos auf der Stufe einer stillen Treppe nieder, riß Therese, die sich fast wehrte, an sich und küßte sie mit schmerzhaftem Anpressen der Lippen.
    Wenn man nachher weiß, daß das die letzten Küsse waren, begreift man nicht, daß man, und mag man ein kleiner Wurm gewesen sein, so blind sein konnte, das nicht einzusehn. In manchen Zimmern an denen sie vorüberkamen, waren die Türen geöffnet um eine erstickende Luft herauszulassen und aus dem rauchigen Dunst, der wie durch einen Brand verursacht die Zimmer erfüllte, trat nur die Gestalt irgendjemandes hervor, der im Türrahmen stand und entweder durch seine stumme Gegenwart oder durch ein kurzes Wort die Unmöglichkeit eines Unterkommens in dem betreffenden Zimmer bewies. Therese schien es jetzt im Rückblick, daß die Mutter nur in den ersten Stunden ernstlich einen Platz suchte, denn nachdem etwa Mitternacht vorüber war, hat sie wohl niemanden mehr
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    angesprochen, trotzdem sie mit kleinen Pausen bis zur Morgendämmerung nicht aufhörte weiterzueilen und trotzdem in diesen Häusern, in denen weder Haustore noch
    Wohnungstüren je verschlossen werden, immerfort Leben ist und einem Menschen auf Schritt und Tritt begegnen. Natürlich war es kein Laufen, das sie rasch weiterbrachte, sondern es war nur die äußerste Anstrengung deren sie fähig waren, und es konnt e in Wirklichkeit ganz gut auch bloß ein Schleichen sein.
    Therese wußte auch nicht, ob sie von Mitternacht bis fünf Uhr früh in zwanzig Häusern oder in zwei oder gar nur in einem Haus gewesen waren. Die Korridore dieser Häuser sind nach schlauen Plänen der besten Raumausnützung aber ohne Rücksicht auf leichte Orientierung angelegt, wie oft waren sie wohl durch die gleichen Korridore gekommen! Therese hatte wohl in dunkler Erinnerung, daß sie das Tor eines Hauses, das sie ewig durchsucht hatten, wieder verließen, aber ebenso schien es ihr, daß sie auf der Gasse gleich gewendet und wieder in dieses Haus sich gestürzt hätten. Für das Kind war es natürlich ein unbegreifliches Leid, einmal von der Mutter gehalten, einmal sich an ihr festhaltend, ohne ein kleines Wort des Trostes mitgeschleift zu werden, und das Ganze schien damals für seinen Unverstand nur die Erklärung zu haben, daß die Mutter von ihm weglaufen wolle. Darum hielt sich Therese desto fester, selbst wenn die Mutter sie an einer Hand hielt, der Sicherheit halber auch noch mit der andern Hand an den Röcken der Mutter und heulte in Abständen. Sie wollte nicht hier zurückgelassen werden, zwischen den Leuten, die vor ihnen die Treppen stampfend emporstiegen, die hinter ihnen, noch nicht zu sehn, hinter einer Wendung der Treppe herankamen, die in den Gängen vor einer Tür Streit mit einander hatten und einander gegenseitig in das Zimmer hineinstießen. Betrunkene wanderten mit dumpfem Gesang im Haus umher und glücklich schlüpfte noch die Mutter mit Therese durch solche sich gerade schließende Gruppen. Gewiß hätten sie spät in der Nacht, wo
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    man nicht mehr so acht gab und niemand mehr unbedingt auf seinem Recht bestand, wenigstens in einen der allgemeinen von Unternehmern vermieteten Schlafsäle sich drängen können, an deren einigen sie vorüberkamen, aber Therese verstand es nicht und die Mutter wollte keine Ruhe mehr. Am Morgen, dem Beginn eines schönen Wintertags, lehnten sie beide an einer Hausmauer und hatten dort vielleicht ein wenig geschlafen, vielleicht nur mit offenen Augen herumgestarrt. Es zeigte sich, daß Therese ihr Bündel verloren hatte, und die Mutter machte sich

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