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Der Verschollene

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Titel: Der Verschollene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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Aufzug brachten, kaum gestört. Das Gespräch kam auch auf Delamarche und Karl merkte, daß er sich eigentlich durch Therese hatte beeinflussen lassen, wenn er ihn seit einiger Zeit für einen gefährlichen Menschen hielt, denn so erschien er allerdings Therese nach Karls Erzählungen. Karl jedoch hielt ihn im Grunde nur für einen Lumpen, der durch das Unglück sich hatte verderben
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    lassen und mit dem man schon auskommen konnte. Therese widersprach dem aber sehr lebhaft und forderte Karl in langen Reden das Versprechen ab, kein Wort mit Delamarche mehr zu reden. Statt dieses Versprechen zu geben, drängte sie Karl wiederholt schlafen zu gehn, da schon Mitternacht längst vorüber war, und als sie sich weigerte, drohte er seinen Posten zu verlassen und sie in ihr Zimmer zu führen. Als sie endlich bereit war wegzugehn, sagte er: "Warum machst Du Dir so unnötige Sorgen, Therese? Für den Fall, daß Du dadurch besser schlafen solltest verspreche ich Dir gerne, daß ich mit Delamarche nur reden werde, wenn es sich nicht vermeiden läßt.
    " Dann kamen viele Fahrten, denn der Junge am Nebenlift wurde zu irgend einer andern Dienstleistung verwendet und Karl mußte beide Lifts besorgen. Es gab Gäste, die von Unordnung sprachen und ein Herr, der eine Dame begleitete, berührte Karl sogar leicht mit dem Spazierstock, um ihn zur Eile anzutreiben, eine Ermahnung, die recht unnötig war. Wenn doch wenigstens die Gäste, da sie sahen, daß bei dem einen Lift kein Junge stand, gleich zu Karls Lift getreten wären, aber das taten sie nicht, sondern giengen zu dem Nebenlift und blieben dort, die Hand an der Klinke stehn oder traten gar selbst in den Aufzug ein, was nach dem strengsten Paragraphen der Dienstordnung die Liftjungen um jeden Preis verhüten sollten. So gab es für Karl ein sehr ermüdendes Hin- und Herlaufen, ohne daß er aber dabei das Bewußtsein gehabt hätte seine Pflicht genau zu erfüllen.
    Gegen drei Uhr früh wollte überdies ein Packträger, ein alter Mann mit dem er ein wenig befreundet war, irgend eine Hilfeleistung von ihm haben, aber die konnte er nun keinesfalls leisten, denn gerade standen Gäste vor seinen beiden Lifts und es gehörte Geistesgegenwart dazu sich sofort mit großen Schritten für eine Gruppe zu entscheiden. Er war daher glücklich als der andere Junge wieder antrat und rief ein paar Worte des Vorwurfs wegen seines langen Ausbleibens zu ihm hinüber, trotzdem er wahrscheinlich keine Schuld daran hatte.
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    Nach vier Uhr früh trat ein wenig Ruhe ein, aber Karl brauchte sie auch schon dringend. Er lehnte schwer am Geländer neben seinem Aufzug, aß langsam den Apfel, aus dem schon nach dem ersten Biß ein starker Duft strömte, und sah in einen Lichtschacht hinunter, der von großen Fenstern der Vorratskammern umgeben war, hinter denen hängende Massen von Bananen im Dunkel gerade noch schimmerten.
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    6. Der Fall Robinson

    Da klopfte ihm jemand auf die Schulter. Karl, der natürlich dachte, es wäre ein Gast, steckte den Apfel eiligst in die Tasche und eilte, kaum daß er den Mann ansah, zum Aufzug hin.
    "Guten Abend, Herr Roßmann", sagte nun aber der Mann, "ich bin es, Robinson." "Sie haben sich aber verändert", sagte Karl und schüttelte den Kopf. "Ja es geht mir gut", sagte Robinson und sah an seiner Kleidung hinunter, die vielleicht aus genug feinen Stücken bestand, aber so zusammengewürfelt war, daß sie geradezu schäbig aussah. Das Auffallendste war eine offenbar zum erstenmal getragene weiße Weste mit vier kleinen schwarz eingefaßten Täschchen, auf die Robinson auch durch Vorstrecken der Brust aufmerksam zu machen suchte. "Sie haben teuere Kleider", sagte Karl und dachte flüchtig an sein schönes einfaches Kleid, in dem er sogar neben Renell hätte bestehen können und das die zwei schlechten Freunde verkauft hatten. "Ja", sagte Robinson, "ich kaufe mir fast jeden Tag irgend etwas. Wie gefällt Ihnen die Weste?" "Ganz gut", sagte Karl. "Es sind aber keine wirklichen Taschen, das ist nur so gemacht", sagte Robinson und faßte Karl bei der Hand, damit sich dieser selbst davon überzeuge. Aber Karl wich zurück, denn aus Robinsons Mund kam ein unerträglicher Branntweingeruch.
    "Sie trinken wieder viel", sagte Karl und stand schon wieder am Geländer. "Nein", sagte Robinson, "nicht viel" und fügte im Widerspruch zu seiner früheren Zufriedenheit hinzu: "Was hat der Mensch sonst auf der Welt. " Eine Fahrt unterbrach das Gespräch und, kaum war Karl wieder

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