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Der Verschollene

Der Verschollene

Titel: Der Verschollene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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meine beiden Hände für die Wange brauchte. "

    "Was Ihr getrieben habt", sagte Karl, von der Geschichte ganz gefangen genommen und setzte sich auf den Boden. "Das war also Brunelda"

    "Nun ja", sagte Robinson, "das war Brunelda. "

"Sagtest Du nicht einmal, daß sie eine Sängerin ist?" fragte Karl.

    "Freilich ist sie eine Sängerin und eine große Sängerin", antwortete Robinson, der eine große Bonbonmasse auf der Zunge wälzte und hie und da ein Stück, das aus dem Mund gedrängt wurde mit den Fingern wieder zurückdrückte. "Aber das wußten wir natürlich damals noch nic ht, wir sahen nur daß es eine reiche und sehr feine Dame war. Sie tat, als wäre nichts geschehn und vielleicht hatte sie auch nichts gespürt, denn ich hatte sie tatsächlich nur mit den Fingerspitzen angetippt. Aber immerfort hat sie den Delamarche angesehn, der ihr wieder –
    wie er das schon trifft – gerade in die Augen zurückgeschaut hat. Darauf hat sie zu ihm gesagt: 'Komm mal auf ein Weilchen herein' und hat mit dem Sonnenschirm in die Wohnung gezeigt, wohin Delamarche ihr vorangehn sollte; Dann sind sie beide hineingegangen und die Dienerschaft hat hinter ihnen die Türe zugemacht. Mich haben sie draußen vergessen und da habe ich gedacht es wird nicht gar so lange dauern und habe mich auf die Treppe gesetzt, um Delamarche zu erwarten. Aber statt des Delamarche ist der Diener herausgekommen und hat mir eine ganze Schüssel Suppe herausgebracht, 'eine Aufmerksamkeit des Delamarche! ' sagte ich mir. Der Diener blieb noch während ich aß ein Weilchen bei mir stehn und erzählte mir Einiges über
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    Brunelda und da habe ich gesehn, was für eine Bedeutung der Besuch bei Brunelda für uns haben konnte. Denn Brunelda war eine geschiedene Frau, hatte ein großes Vermögen und war vollständig selbstständig. Ihr früherer Mann ein Cacaofabrikant liebte sie zwar noch immer, aber sie wollte von ihm nicht das geringste hören. Er kam sehr oft in die Wohnung, immer sehr elegant wie zu einer Hochzeit angezogen – das ist Wort für Wort wahr, ich kenne ihn selbst – aber der Diener wagte trotz der größten Bestechung nicht Brunelda zu fragen, ob sie ihn empfangen wollte, denn er hatte einigemal schon gefragt, und immer hatte ihm Brunelda das was sie gerade bei der Hand hatte ins Gesicht geworfen. Einmal sogar ihre große gefüllte Wärmeflasche und mit der hatte sie ihm einen Vorderzahn ausgeschlagen. Ja, Roßmann da schaust Du! "

    "Woher kennst Du den Mann?" fragte Karl.

    "Er kommt manchmal auch herauf", sagte Robinson.

    "Herauf? " Karl schlug vor Staunen leicht mit der Hand auf den Boden.

    "Du kannst ruhig staunen", fuhr Robinson fort, "selbst ich habe gestaunt, wie mir das der Diener damals erzählt hat. Denk nur, wenn Brunelda nicht zuhause war, hat sich der Mann von dem Diener in ihre Zimmer führen lassen und immer eine Kleinigkeit als Andenken mitgenommen und immer etwas sehr Teueres und Feines für Brunelda zurückgelassen und dem Diener streng verboten zu sagen von wem es ist. Aber einmal als er etwas – wie der Diener sagte und ich glaub es – geradezu Unbezahlbares aus Porzellan mitgebracht hatte, muß Brunelda es irgendwie erkannt haben, hat es sofort auf den Boden geworfen, ist darauf herumgetreten, hat es angespuckt und noch
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    einiges andere damit gemacht, so daß es der Diener vor Ekel kaum heraustragen konnte. "

    "Was hat ihr denn der Mann getan?" fragte Karl.

    "Das weiß ich eigentlich nicht", sagte Robinson. "Ich glaube aber, nichts besonderes, wenigstens weiß er es selbst nicht. Ich habe ja schon manchmal mit ihm darüber gesprochen. Er erwartet mich täglich dort an der Straßenecke, wenn ich komme, so muß ich ihm Neuigkeiten erzählen, kann ich nicht kommen, wartet er eine halbe Stunde und geht dann wieder weg. Es war für mich ein guter Nebenverdienst, denn er bezahlt die Nachrichten sehr vornehm, aber seit Delamarche davon erfahren hat, muß ich ihm alles abliefern und so geh ich seltener hin. "

    "Aber was will der Mann haben?" fragte Karl, "was will er denn nur haben? Er hört doch, sie will ihn nicht. "

    "Ja", seufzte Robinson, zündete sich eine Cigarette an und blies unter großen Armschwenkungen den Rauch in die Höhe.
    Dann schien er sich anders zu entschließen und sagte: "Was kümmert das mich? Ich weiß nur, er möchte viel Geld dafür geben, wenn er so hier auf dem Balkon liegen dürfte, wie wir. "

    Karl stand auf, lehnte sich ans Geländer und sah auf die Straße hinunter. Der

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