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Der vierzehnte Stein

Der vierzehnte Stein

Titel: Der vierzehnte Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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Bestürzung und Entsetzen.
    Er trank lange aus dem Wasserhahn in der Küche, spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht und über die Haare. Dann öffnete er alle Schränke auf der Suche nach Alkohol, ob hart, prickelnd, würzig, egal. Es mußte doch irgendwo etwas in der Art geben, wenigstens einen Rest, den Danglard eines Abends zurückgelassen hatte. Endlich fand er eine ihm unbekannte Flasche aus gebranntem Ton, die er rasch entkorkte. Er drückte seine Nase an den Flaschenhals, prüfte das Etikett. Vierundvierzigprozentiger Wacholderschnaps. In seinen Händen zitterte die dickbauchige Flasche. Er füllte ein Glas und trank es in einem Zug leer. Zweimal hintereinander. Adamsberg spürte, wie sein Körper in seine Einzelteile zerfiel, und sackte in einen alten Sessel. Nur eine kleine Lampe ließ er brennen.
     
    Nun, da der Alkohol seine Muskeln betäubt hatte, konnte er anfangen nachzudenken, konnte er sich vorwagen. Und versuchen, dem Ungeheuer ins Gesicht zu sehen, das Neptuns Erscheinung endlich aus seinen eigenen Tiefen hatte auftauchen lassen. Den Eindringling, den schrecklichen Gast. Den unbesiegbaren, hochmütigen Mörder, den er den »Dreizack« nannte. Den unbezwingbaren Schlächter, der vor dreißig Jahren sein Leben ins Wanken gebracht hatte. Vierzehn Jahre lang hatte er ihn beharrlich verfolgt, gejagt, jedesmal in der Hoffnung, ihn zu fassen, und hatte seine bewegliche Beute doch immer wieder verloren. Er war gerannt, gestürzt, weitergerannt.
    Und wieder gestürzt. Viele Hoffnungen hatte er dabei aufgegeben, vor allem aber hatte er seinen Bruder verloren. Der Dreizack war ihm immer wieder entwischt. Ein Titan, ein Teufel, ein Poseidon der Hölle. Der seine dreizinkige Waffe hob und mit einem einzigen Stoß in den Bauch tötete. Der seine Opfer aufgespießt zurückließ, gezeichnet mit drei roten Malen auf einer geraden Linie.
    Adamsberg richtete sich in seinem Sessel auf. Die drei roten Reißzwecken an der Wand seines Büros – drei blutige Löcher. Enids lange, dreizinkige Gabel – das Abbild des Dreizacks. Und Neptun mit erhobenem Zepter. Das waren sie, die Bilder, die ihm so weh getan hatten, die den Sturm auslösten, den Schmerz in ihn strömen ließen und seine zurückgekehrten Ängste in einer Flut von Schlamm freisetzten.
    Er hätte es wissen müssen, dachte er jetzt. Hätte die Heftigkeit dieser Anfälle mit dem schmerzhaft langen Weg in Verbindung bringen müssen, den er mit dem Dreizack gegangen war. Denn nichts hatte ihm mehr Leid und Grauen, mehr Verzweiflung und Wut bereitet als dieser Mann. Er hatte das klaffende Loch, das der Mörder in sein Leben gerissen hatte, damals, vor sechzehn Jahren, verstopfen müssen, er hatte es zumauern und dann vergessen müssen. Und nun öffnete es sich jäh unter seinen Füßen, an diesem Tag und ohne allen Grund.
    Adamsberg stand auf und lief, die Arme über dem Bauch verschränkt, durchs Zimmer. Einerseits fühlte er sich befreit und beinahe entspannt, weil er ins Auge des Zyklons geblickt hatte. Der Tornado würde nicht wiederkommen. Aber das plötzliche Auftauchen des Dreizacks bestürzte ihn. An diesem Montag, dem 6. Oktober, war er wieder auferstanden gleich einem Gespenst, das durch Wände ging. Beunruhigendes Erwachen, unerklärliche Wiederkehr. Er räumte die Flasche Wacholderschnaps weg und spülte sorgfältig sein Glas. Wenn er doch verstehen könnte, warum, wenn er doch gewußt hätte, aus welchem Grund der alte Mann wieder aufgetaucht war. Zwischen seiner friedlichen Ankunft heute morgen im Büro und dem Erscheinen des Dreizacks fehlte ihm erneut die Verbindung. Er setzte sich auf den Fußboden, den Rücken am Heizkörper, die Knie mit den Händen umschlossen, und dachte an den Großonkel, der genau so in einer Felsenkuhle gekauert hatte. Er mußte sich konzentrieren, einen Punkt fixieren, hinabblicken, so tief es ging und ohne abzulassen. Er mußte bis dahin zurück, wo der Dreizack ihm zum erstenmal erschienen war, wo die erste Böe ihn erfaßt hatte. Das war, als er von Rembrandt sprach, als er Danglard die Schwachstelle im Fall Hernoncourt erklärte. Er ging die Szene im Geiste noch einmal durch. Sosehr er sich anstrengen mußte, um sich Wörter einzuprägen, so leicht nisteten sich Bilder in ihm ein, wie Kiesel in weicher Erde. Er sah sich wieder auf der Ecke von Danglards Schreibtisch sitzen, sah wieder das mürrische Gesicht seines Stellvertreters unter der Mütze mit der gestutzten Bommel, sah den Becher mit Weißwein, das Licht, das

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