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Der vierzehnte Stein

Der vierzehnte Stein

Titel: Der vierzehnte Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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großen Saal im Erdgeschoß, wo sich seine Männer schwerfällig, weil angedickt mit der Last ihrer Schals und Pullover, wie in Zeitlupe hin und her bewegten. Ohne jeden erkennbaren Grund nannte man diesen Raum den Konzilsaal, sicherlich, dachte Adamsberg, weil hier die gemeinsamen Versammlungen stattfanden, Schlichtungsgespräche oder auch Verschwörungssitzungen, je nachdem. Ebenso nannte man den angrenzenden Raum den Kapitelsaal, er war viel kleiner, und hier versammelte sich der engere Kreis der Mitarbeiter. Wer sich diesen Namen ausgedacht hatte, wußte Adamsberg nicht. Wahrscheinlich Danglard, dessen Bildung ihm mitunter grenzenlos, ja beinahe toxisch erschien. Der Capitaine wurde von heftigen Wissensausbrüchen heimgesucht, die so häufig wie unkontrollierbar über ihn kamen, etwa wie ein Pferd, das sich in schnaubender Erregung schüttelt. Ein schwacher Anreiz genügte – ein selten verwendetes Wort, ein verschwommener Begriff –, und schon rastete bei ihm ein gelehrter Mechanismus ein, der nicht unbedingt immer sehr angebracht war, sich jedoch mit einer Handbewegung unterbrechen ließ.
    Mit einer verneinenden Geste bedeutete Adamsberg den Gesichtern, die sich ihm auf seinem Weg zuwandten, daß der Heizkessel noch immer kein Lebenszeichen von sich gab. Er erreichte das Büro von Danglard, der mit düsterer Miene die dringendsten Berichte zu Ende schrieb, für den verheerenden Fall, daß er mit nach Labrador mußte. Allerdings würde er dort ja ohnehin nie ankommen wegen dieser Explosion über dem Atlantik infolge eines Brandes im linken Triebwerk, ausgelöst durch einen Schwarm Stare, der in die Turbine geraten war. Und das war eine Aussicht, die ihn seiner Meinung nach vollauf berechtigte, eine Flasche Weißwein schon vor sechs Uhr abends zu öffnen.
    Adamsberg setzte sich auf eine Ecke des Tisches.
    »Wie weit, Danglard, sind wir mit dem Fall Hernoncourt?«
    »So gut wie abgeschlossen. Der alte Baron hat ein Geständnis abgelegt. Vollständig und klar.«
    »Zu klar«, sagte Adamsberg, indem er den Bericht zurückschob und sich die Zeitung griff, die sauber gefaltet auf dem Tisch lag. »Da haben wir ein Abendessen im Kreise der Familie, das in einem Gemetzel endet, und wir haben einen zögerlichen alten Mann, der sich in seinen Worten verstrickt. Plötzlich aber entschließt er sich zur Klarheit, ohne jeden Übergang, ohne Helldunkel. Nein, Danglard, das unterschreiben wir nicht.«
    Adamsberg schlug geräuschvoll eine Seite der Zeitung um.
    »Und das soll heißen?« fragte Danglard.
    »Daß wir noch mal von vorn beginnen. Der Baron führt uns doch an der Nase herum. Er deckt jemanden, und sehr wahrscheinlich seine Tochter.«
    »Und die Tochter würde ihren Vater ans Messer liefern?«
    Adamsberg blätterte eine nächste Seite der Zeitung um. Danglard mochte es nicht, wenn der Kommissar seine Zeitung las. Er gab sie ihm stets zerknittert und in Einzelteilen zurück, man brauchte dann gar nicht erst zu versuchen, das Papier wieder in seine gefaltete Form zu bringen »Hat man schon erlebt«, antwortete Adamsberg. »Aristokratische Traditionen und vor allem ein mildes Urteil für einen schwachen alten Mann. Ich sage Ihnen nochmals, da gibt’s nichts Zwielichtiges, und so was ist nicht vorstellbar. Dieser Sinneswandel kommt viel zu plötzlich, das Leben kennt keine so sauberen Brüche. Also ist irgend etwas faul daran.«
    Danglard war müde, er verspürte plötzlich eine heftige Lust, sich den Bericht zu schnappen und alles hinzuschmeißen. Auch die Zeitung an sich zu reißen, die Adamsberg in seinen Händen achtlos auseinandernahm. Ob wahr oder falsch, er würde in jedem Fall gezwungen sein, das verdammte Geständnis des Barons noch einmal zu überprüfen, nur weil der Kommissar irgendeine schwammige Eingebung hatte. In den Augen Danglards glichen diese Eingebungen einer primitiven Rasse wurmartiger Weichtiere ohne Füße noch Flossen, ohne Unter- noch Oberseite, deren durchsichtige Körper unter der Wasseroberfläche trieben, und sie reizten den präzisen, scharfen Verstand des Capitaine, ja sie widerten ihn regelrecht an. Er wäre auch deshalb gezwungen, noch einmal alles zu überprüfen, weil diese weichtierartigen Eingebungen sich nur allzu häufig als richtig erwiesen, dank wer weiß welchem Adamsbergschen Vorherwissen, das der raffiniertesten Logik trotzte. Ein Vorherwissen, das den Kommissar von Erfolg zu Erfolg schließlich bis auf diese Tischkante geführt hatte, auf diesen Posten als ungebührlicher,

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