Der viktorianische Vibrator: Törichte bis tödliche Erfindungen aus dem Zeitalter der Technik (German Edition)
Sänfte. So als hätte es gerufen: »Schaaahatz! Es ist halb vier, setz mal die Perücke ab, gleich fängt die industrielle Revolution an!«
Mag dieser Übergang auch schnell vonstatten gegangen sein, so abrupt verlief das alles nicht. Unsere Vorstellungen sind stark vereinfacht, und natürlich hatte auch die Technisierung eine Vorgeschichte.
Vieles, was wir heute für Attribute der Moderne halten, war in Wahrheit lange Zeit vorher schon bekannt, wenn auch weniger verbreitet oder zeitweilig in Vergessenheit geraten. So waren die ersten echten Kunststoffe in Deutschland bereits gegen Anfang des 16. Jahrhunderts entwickelt worden, um daraus Schmuck-und Haushaltsgegenstände zu formen. Verbrieft ist etwa die Synthese eines transparenten Kunsthorns im Jahr 1530, das sich einiger Popularität erfreute. Die Anfänge des Betonbaus und der auf Beton basierenden Groß-Architektur liegen sogar mehr als 2000 Jahre zurück. Viele der damals gebauten, teils gegossenen Gebäude und Brücken stehen noch immer – überall dort, wo einst die Römer siedelten.
Auch viele der Erfindungen, die ab Ende des 18. Jahrhunderts begannen, die Welt zu verändern, hatten bereits einige Jahre, wenn nicht Jahrhunderte auf dem Buckel. Man wusste nur nichts Sinnvolles mit ihnen anzufangen.
Erst kommt das Vergnügen, dann die Arbeit
Das Paradebeispiel dafür ist der elektrische Strom. Dass es eine mysteriöse, mit Licht und Hitze einhergehende Kraft mit potentiell tödlicher Gewalt gab, war den Menschen schon im Altertum klar: Blitze und andere Wetterphänomene wie Elmsfeuer einerseits, »geladene« Tiere wie Zitteraale andererseits waren schwer zu übersehen. Dass man Elektrizität auch selbst erzeugen kann, entdeckte bereits 600 vor Christus der Grieche Thales von Milet (der mit dem »Thales-Satz« aus dem Matheunterricht), und wie er das machte, verrät allein der Name, mit dem wir diese Energie bis heute bezeichnen: »Elektron« ist griechisch und bedeutet »Bernstein«.
Thales soll Bernsteine aufgeladen haben, indem er mit wuscheligen Materialien daran herumrieb. Im aufgeladenen Zustand zogen Bernsteine dann kleinere, leichtere Partikel an. Kein Wunder, dass man bis ins 19. Jahrhundert seine Schwierigkeiten hatte, Elektrizität und Magnetismus sauber voneinander zu trennen. Wie war das erst, als man entdeckte, dass man das eine mithilfe des anderen erzeugen kann! Lange Zeit sollte das dauern. Über 1700 Jahre blieb Elektrizität eine vielleicht interessante, aber völlig nutzlose Entdeckung.
Erst 1660 ging Otto von Guericke, hauptberuflich Bürgermeister von Magdeburg, mit einer bahnbrechenden Entdeckung wenn nicht in die Annalen der Wissenschaft, dann zumindest in die des Home-Entertainment ein: Mittels seiner »Elektrisiermaschine« war es nun möglich, diese interessante Energie auf einfache Weise zu erzeugen.
ELEKTRISIERMASCHINE, Vorrichtung zur Erzeugung größerer Elektrizitätsmengen durch Reibung. Eine auf waagerechter, teilweise gläserner und von Glasstützen h , h getragener Achse i befestigte Glasscheibe A (Fig. 1) wird beim Drehen mittels einer Kurbel k in der Richtung des Pfeiles, zwischen zwei federnd gegen sie drückenden Lederkissen c , c durchgezogen und dadurch an denselben gerieben. Die Reibkissen sind auf der Glassäule f angebracht und, um die Elektrizitätserregung zu erhöhen, durch kienmayersches Amalgam (…) metallisch gemacht. Beim Reiben wird die Glasscheibe positiv, das Reibzeug negativ elektrisch; die negative Elektrizität des Reibzeugs wird durch eine Kette oder einen Draht von Metall m in die Erde geleitet und dadurch verhindert, sich mit der positiven der Glasscheibe wieder zu vereinigen.
Meyers Großes Konversationslexikon , 1905 (gekürzter Auszug)
Strom macht Spaß
Für rund 100 Jahre blieb Guerickes Maschine ohne große Relevanz. Physiker experimentierten mit ihr herum, um dem Wesen des »Stroms« näher zu kommen, doch sie machten dabei kaum Fortschritte. Es gab nur eine Sache, für die sich die mit der Elektrisiermaschine erzeugte Energie einsetzen ließ.
Meyers Großes Konversationslexikon von 1905 beschreibt sie nüchtern und sachlich: »Die Haare sträuben sich infolge der gegenseitigen Abstoßung empor und fallen zusammen, sobald aus dem Konduktor oder dem menschlichen Körper selbst ein Funke gezogen wird. Papierschnitzel u. dergl. werden von den Händen angezogen wie von einer geriebenen Siegellackstange etc. Man kann in diesem Zustand eine Gasflamme oder Äther, den eine andre nicht
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