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Nybbas Nächte

Nybbas Nächte

Titel: Nybbas Nächte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Benkau
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1
    D
urch und durch verdorbene Seelen sind erstaunlich schwer zu finden. Ein Trost für die meisten, doch ein ernstes Problem für den Ilyan.
    Elias lehnte sich gegen die Wand und hielt den Atem an. Der Hunger quälte ihn seit Tagen. Lange würde sich der Schatten in seiner menschlichen Hülle nicht mehr abhalten lassen, mit Gewalt zu holen, was er brauchte. Nahrung.
    Auf der Suche nach Beute weitete er seine Sinne, bis sie das menschliche Maß überschritten. Aus dem Müllcontainer, der ihm Sichtschutz bot, drang ein unerträglicher Gestank nach Verwesung. Rattenpfoten kratzten am Metall, untermalt vom Summen der Schmeißfliegen. Die Geräusche der nahen Einkaufsmeile drangen nur peripher an Elias’ Ohren. Schwatzende Menschen, das Klackern hochhackiger Schuhe, Gelächter. Irgendwo in dieser Gasse stand ein Fenster offen, im Inneren sah jemand ein Basketball-Spiel an. Eine College League. Uninteressant. Er konzentrierte sich auf die näher kommenden Stimmen. Eine davon war ein Volltreffer.
    „In der Schule sagen sie, dass böse Menschen manchmal Lügen erzählen. Du lügst mich aber nicht an, oder?“
    „Nein, Annie. Ich habe dir doch meine Polizeimarke und meine Dienstwaffe gezeigt. Polizisten lügen nicht, das weißt du doch. Und jetzt komm. Deine Mom will, dass du schnell bei ihr bist. Ich habe es ihr versprochen.“ Erwartungszitterndes Atmen untermalte die Worte und sprach eine Sprache, die das Kind nicht verstand. Sie verwandelten Elias’ Ahnung, einen Richtigen gefunden zu haben, in Gewissheit. Er blendete aus, was er hörte, sah und roch, und fokussierte seinen Geist aufs Fühlen. Nur das, wonach er suchte, brachte die Luft zum Schwingen. Und jetzt schwang sie nicht, sie bebte. Yeah, diese Seele war schwarz wie die Nacht. Klasse!
    Die Schritte kamen näher. Die Schatten, ein großer bulliger, und ein kleiner daneben, glitten in sein Sichtfeld. Er ließ sie sein Versteck passieren und beobachtete sie unbemerkt. Das Mädchen hatte einen Pappbecher von Burger King in der Hand. Der Mann war Mitte vierzig, trug ausgebeulte Jeans und eine Kunstlederjacke. Eine Wolke von aufdringlichem Aftershave wehte hinter ihm her. Er hielt die Kleine am Arm fest und führte sie tiefer in die Schlucht zwischen den Hochhäusern. Dabei wichen sie Unrat aus, der auf den Wegen lag.
    „Ich glaube, ich will doch lieber erst zu Dad.“ Unschuld lag in der Stimme. Naives Vertrauen.
    Der Mann lachte leise. „Nun komm schon, Annie. Wir sind gleich da. Mommy wartet auf dich. Wir wollen sie doch nicht enttäuschen.“
    „Ich weiß nicht. Du hast gesagt, sie hat sich wehgetan … aber hier ist doch gar kein Krankenhaus.“
    „Es ist eine Arztpraxis.“
    Der nächste Atemzug des Mädchens war ein wenig lauter. Vermutlich hatte er den Griff um ihren Arm verstärkt. Sie sagte noch etwas, doch die Worte wurden von den Sirenen eines nahen Polizeiwagens verschluckt. Der Mann ging schneller.
    Zufrieden seufzte der Ilyan unter seiner menschlichen Maskierung. Der Bostoner Süden war nicht mehr der Ort, den er in den Neunzigern verlassen hatte. Heute musste man die Gettos suchen, statt überall von ihnen gefunden zu werden. Doch zwischen manch einem asiatischen Take-away-Imbiss und dem benachbarten Irish Pub tat sich eine Gasse auf, die ihn in seine Zeit zurückversetzte. In dieser kämpften rivalisierende Banden um illusorische Ehre, Huren um die Freier und Junkies um den nächsten Schuss. Hier fand er, was er brauchte. Pechschwarze Menschenseelen. Außerdem die Erinnerungen, die seine Finsternis ein wenig erhellten.
    Laureen.
    Laureen, Nicholas und er. Eine Weile waren sie glücklich gewesen. Zumindest hatte er das immer geglaubt. Naives Kind, das er gewesen war. So naiv wie das kleine Opfer an der Hand des Pädophilen.
    Er fuhr aus seinen Gedanken hoch, als der Mann einige Meter entfernt eine Haustür aufschloss. Das Mädchen bemerkte schüchtern, dass es ein sehr altes und schmutziges Haus sei. Raues Kichern kommentierte die Worte. Es weckte Lust in Elias, eine Dummheit zu begehen. Heute würde er eine Show darbieten. Gefahr hin oder her, aber dieser Mann würde dem Dämon ins Antlitz sehen, wenn er starb.
    Hey, warum auch nicht? Selig sind die geistig Armen, und der Zug Richtung Genie war ohnehin abgefahren. Er ließ seinen menschlichen Körper hinter dem Müllcontainer fallen. Sein Schattenleib hob sich empor und manifestierte sich. Er spannte die Muskeln in seinen Flügelansätzen an und ein Zittern lief die Schwingen hinab. Mit den

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