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Der Vormacher

Der Vormacher

Titel: Der Vormacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ferdinand Decker
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Büros.
    Alle Türen sind geschlossen, außer der vom Chef. Hin und wieder hört man ihn brüllen, dann Lindas Stimme, ruhig und beherrscht wie immer, dann wieder ein unbeherrschtes Schnauben vom Chef. So geht es den ganzen Morgen lang. Das habe ich noch selten erlebt: dass sogar Linda den Chef nicht zur Ruhe bringen kann.
    Um elf klingelt das Telefon. Es ist Jana. Erst lass ich es klingeln, aus Gewohnheit. Dann geh ich dran, nach dem vierten Klingeln, aber es ist zu spät. Ich rufe zurück. Besetzt. Da klopft es an der Tür. Ich fahre in meinem Stuhl hoch und lasse das Handy unter einem Stapel Papier verschwinden, obwohl es, wie mir gleich klar wird, der Chef nicht sein kann. Der klopft nicht, egal, in welcher Laune er ist.
    »Darf ich reinkommen?« Es ist Linda.
    »Natürlich«, sage ich erleichtert. »Was ist denn heute los?«
    Sie setzt sich auf den Stuhl am Fenster.
    »Keine Ahnung«, sagt sie.
    »Wegen Theodora?«, frage ich. Sie ist immer noch nicht zurück.
    Linda schüttelt den Kopf.
    »Ich weiß es nicht«, sagt sie. »Theodora hat noch bis morgen frei. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er deswegen noch sauer ist. Mann, meine Schulter tut so weh.«
    »Kommt bestimmt von der Anspannung«, sage ich weise.
    »Bestimmt«, nickt sie. »Kannst du mich mal massieren, nur hier so ein bisschen?« Ich stelle mich hinter sie und knete ihre Schultern. Ein bekannter Duft steigt mir in die Nase.
    »Das Parfum kenn ich«, sage ich.
    » Cirocani «, sagt sie.
    Natürlich. Jana ist mal mit einem Testfläschchen angekommen.
    »Magst du das?«, fragt Linda.
    »Ja«, sage ich. »Riecht schön sommerlich.«
    Sie sieht müde aus. Kein Wunder, sie kann sich als Einzige nicht vor dem Chef verstecken. Ob ich sie zum Mittagessen beim Chinesen einladen soll? Nette Hose übrigens. So eine Dreiviertelhose, die im letzten Jahr in Mode waren. Als sie geht, öffnet sie die Tür nur einen Spalt und schiebt sich hindurch, sodass ihre Pobacken beinah die Tür streifen. Ob sie sich absichtlich am Türrahmen reibt? Ich habe mal von einer Frau gelesen, die als Kind immer ein Treppengeländer heruntergerutscht ist, weil die Reibung sie so aufgegeilt hat.
    Es wird nichts aus dem gemeinsamen Mittagessen. Als ich sie abholen will, ist das Vorzimmer leer, Linda ist entweder schon weg oder beim Chef. Auf dem Weg zum Chinesen höre ich fernes Donnergrollen. Ich bestelle zum Mitnehmen. Kaum stehe ich wieder auf der Straße, bricht das Gewitter los. Klatschnass komme ich im Büro an. Was für ein Scheißtag. Ich will nach Hause, zu Jana. Bilde ich mir das ein, oder war sie heute Morgen komisch? Jana ist ein Morgenmensch – wenn sie aufwacht, ist sie sofort voller Energie. Ich habe mich schon oft darüber geärgert, wie sie mir beim Frühstück die Ohren vollquasselt. Heute Morgen hingegen saß sie mir klein und still gegenüber. Versuchsweise habe ich ihr den neuesten Bürotratsch erzählt, um sie aufzuheitern, aber sie hat nicht darauf reagiert. Sie habe schlecht geträumt, hat sie gesagt, aber sie wollte nicht sagen, was. Sie wisse es nicht mehr, hat sie behauptet. Dabei ist Jana einzigartig, wenn es darum geht, sich Träume zu merken.
    Ich mache mir Sorgen. Gestern Abend hatte ich alles noch im Griff. Aber Jana ist, bei aller Duldsamkeit, immer für Überraschungen gut. Ich weiß noch, wie wir ein Jahr zusammen waren und sie von einem auf den anderen Tag zusammenleben wollte. Ich zögerte. Da sagte sie, wenn ich nicht mit ihr zusammenleben wolle, dann sollten wir besser gleich Schluss machen, oder höchstens noch eine offene Beziehung führen. Ich musste ein wenig lachen, als sie das sagte, ich nahm es nicht so ernst, »offene Beziehung, klingt gut«, sagte ich im Scherz, aber innerhalb von ein paar Wochen wohnte sie bei mir, und ein Jahr später sind wir gemeinsam in das Haus gezogen, wo wir jetzt wohnen. Habe ich den Bogen überspannt am Freitag, als ich sie weinend zurückgelassen habe? Gestern sagte sie noch, sie wolle bei mir bleiben, auch wenn wir keine Kinder haben würden, aber vielleicht hat sie ihre Meinung geändert? Ich sehe es vor mir – ich komme nach Hause, ausgelaugt von einem harten Bürotag wie heute, und da sitzt sie am Tisch, aufrecht und gefasst, die Koffer schon im Auto – »Ich gehe zu meiner Mutter, und dann sehe ich weiter« –, so was vertrage ich ganz schlecht, und heute schon gar nicht. Sie darf nicht gehen. Sie darf mich nicht allein lassen. Ich brauche sie doch, meine Jana.

 
     
     
     
    I ch verlasse das Büro

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