0414 - Zweikampf um die Ninja-Krone
In diese Tiefen durfte nur er selbst. Es sei denn, Yakup, der jetzige Abt des Klosters, brachte einen Freund mit, aber zumeist betrat er die unterirdische Welt allein.
Es machte ihm nichts aus, sich mit seinen kräftigen Händen an dem Seil in die Tiefe zu hangeln. Er war es gewohnt, sein Körper war gestählt und sein Geist konzentriert. Er gehörte zu den Menschen, die kämpfen konnten und es immer wieder unter Beweis stellen mussten.
Seine Wurfsterne, die Schwerter, Stöcke und Bögen beherrschte er meisterhaft, und er durfte sich auch Meister nennen.
Ein Meister des Ninja, des lautlosen Kampfes, des schnellen Tötens. Wobei ihm der letzte Begriff überhaupt nicht gefiel, denn Yakup gehörte zu den Menschen, die Leben schonen wollten und nur zur Waffe griffen, wenn sie gezwungen wurden.
Jetzt hatten die Toten ihn gerufen. Da konnte er sich leicht ausrechnen, dass es bald so weit sein würde und er einen bestimmten Weg gehen musste.
Immer wieder griff er nach. Der aus widerstandsfähigen Weidenruten bestehende Korb hielt noch mehr aus als sein Gewicht. Die Tiefe und die Enge des Schachts schluckten ihn, während sich die Luft verschlechterte. Es stank nach Verwesung.
Für Yakup ein Zeichen, dass er den Grund bald erreicht hatte, denn erkennen konnte er nichts.
Aber Yakup, dem das Kloster zu einer zweiten Heimat geworden war, fand sich auch ohne Licht zurecht. Zweimalnoch musste er nachfassen, dann spürte er unter dem Korb Widerstand.
Er war am Ziel.
Yakup löste seine Hände vom Seil, stützte eine Faust auf den Korbrand und schwang sich hinaus. Für einen Moment blieb er stocksteif im Refugium der Toten stehen.
Er lauschte in die Dunkelheit hinein und versuchte, die Schwingungen der Toten in sich aufzunehmen. Sie waren gestorben, man hatte sie nach dem uralten Ritual beerdigt, aber sie lebten auf eine gewisse Art und Weise trotzdem.
Yakup ging los. Zielsicher legte er im Finstern die nächsten beiden Schritte zurück, blieb dann stehen und streckte den rechten Arm aus. Yakup brauchte nicht erst nachzufühlen. Seine Finger fanden fast von allein den Griff der bereitstehenden Pechfackel, die ihm Sekunden später den Weg durch die Finsternis erhellen sollte.
Aus seiner Tasche holte er ein Zündholz hervor und rieb es an.
Die Flamme brannte ruhig. Ihr Inneres kam ihm vor wie ein Auge, das alles sah.
Yakup, der Türke war, entzündete die Fackel. Er schaute zu, wie die zuerst kleine Flamme am Pech in die Höhe glitt, mehr Nahrung erhielt und sich ausbreitete, sodass sie zu einem lodernden Feuer wurde, von dem dunkler Rauch gegen die Decke des unheimlich wirkenden Gewölbes stieg und sich dort ausbreitete.
Yakup Yalcinkaya war kein hektischer Mensch. Er bewegte sich ruhig, aber nicht langsam, behielt den Überblick. Seine Ruhe strahlte oft genug auf andere Menschen ab, die spürten, dass sie Vertrauen zu ihm haben konnten.
So ging Yakup tiefer in den Gang hinein, der dort endete, wo der Totenbaum stand. Sein Geäst war für die Leichen wie ein riesiges Grab.
Es war ein Baum, der nicht mehr wuchs, aber auch nicht verdorrte. Ohne Blätter, ohne Blüten existierte er in der Finsternis des Leichenkellers und war für Yakup so ungemein wertvoll.
Er bewohnte das Kloster an der Westküste der USA nicht allein.
Bei ihm waren Jane Collins und Ali, ein Junge, den John Sinclair aus Marokko mitgebracht und ihn Yakup zur Ausbildung anvertraut hatte. Zusätzlich hatte er noch gleichgesinnte Kämpfer um sich gesammelt, die den großen Garten bestellten und auch sonst alle Arbeiten verrichteten, die im Kloster anfielen.
Einen Großteil des Tages verbrachten diese Männer aber in der Kampfschule, die Yakup ebenfalls gegründet hatte. Wer sie durchlief, war für das Leben fit. Yakup stellte es ihnen frei, ob sie im Kloster bleiben wollten oder es verließen.
Er selbst hatte es zu seiner zweiten Heimat gemacht und sein Leben radikal umgestellt, nachdem man seine Freundin brutal ermordet hatte.
Der Türke war es gewohnt, leise aufzutreten. Auch jetzt verursachte er kaum ein Geräusch. Manchmal hatte es den Anschein, als würde das Licht der Fackel von allein durch die Finsternis schweben.
Yakup brauchte nicht weit zu gehen. Der dunkelrote Fackelschein streifte oft genug sein Gesicht und ließ die harten Konturen zerfließen. Das Haar des Mannes war blond. Es lag gescheitelt auf seinem Kopf. Unter der hohen Stirn wuchs eine leicht gekrümmte Nase. Hellwach blickten die Augen, die gleichzeitig Ruhe und Gelassenheit
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