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Der Vormacher

Der Vormacher

Titel: Der Vormacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ferdinand Decker
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Augen.
    »Ist das dein Ernst?«, fragt sie leise.
    Ich nicke. Weil sie nicht reagiert, füge ich hinzu: »Es gibt bestimmt auch Kurse und so. Wir können mal im Internet gucken, wenn du möchtest.«
    Jana drückt die Bücher an ihre Brust. Sie dreht sich langsam hin und her, als wüsste sie nicht, wohin mit sich. Sie hat Tränen in den Augen. Ich breite die Arme aus. Jana schmiegt sich an mich, ohne das Buch loszulassen. Die Spitze des Buchdeckels sticht mir in die Rippen.
    »Wollen wir zu Carlini?«, frage ich. Jana macht sich los.
    »Erst ruf ich meine Mutter an«, sagt sie. »Ich bin so glücklich. Du machst mich so glücklich.«
    Jetzt gibt es kein Zurück mehr. Ich gebe mir alle Mühe, ebenso glücklich auszusehen. Es klappt ganz gut. Bei Carlini sitzen wir diesmal nicht am Fenster, sondern an der Rückwand – »diesmal bitte einen anderen Tisch, Luigi«, habe ich gesagt, und Jana hat nur stolz gelächelt. Beim Essen strahlt sie wie ein Weihnachtsengel. Ein wahres Leuchten geht von ihr aus. Die anderen Gäste werfen uns Blicke zu: bewundernde für sie, neidische für mich. Die Frauen schauen hauptsächlich auf mich; was für ein Mann ist das, denken sie, ein Mann, der eine Frau so glücklich machen kann. Auch Luigi, der mir oft kurz angebunden begegnet ist, behandelt mich heute mit Respekt. Und als ich die Rechnung bestelle, deutet er eine kurze Verbeugung an und sagt mit spitzen Lippen: »Aufs Haus, Herr Hiller, aufs Haus.« Die gute Stimmung färbt ab. » Molte grazie, Luigi«, sage ich und gebe ein fürstliches Trinkgeld. Arm in Arm entschweben Jana und ich in die Nacht.

 
     
     
     
    A m nächsten Morgen habe ich zum ersten Mal seit Jahren das besondere Gefühl eines Mannes, der morgens das Haus verlässt, nachdem er seine Frau »so durchgefickt hat, dass sie kaum noch gerade liegen kann«. Ich muss ein wenig lachen, wenn ich solche Ausdrücke benutze. Aber wie soll man das sonst sagen? Ich fühle mich zugleich gestärkt und erschöpft, als ich mich hinter dem Lenkrad rekele. Umgeben von verdrossenen Morgengesichtern hinter Windschutzscheiben, stecke ich mir ungeniert die Hand in die Unterhose, um meine Angelegenheiten zu ordnen. Es sieht mich doch keiner – was sehen die Leute in Autos schon, außer Ampeln, Rückspiegeln und lebensmüden Radfahrern? Da fällt mir eine Gedichtzeile ein. Nicht, dass ich mich je für Poesie interessiert hätte! Aber Jana hat immer einen Band auf dem Nachttisch liegen. »Denn jedem Anfang wohnt ein Zauber inne.« Wird wohl von Goethe sein. Ist doch immer alles von Goethe. Ich würde allerdings eher sagen: »Denn jeder Entscheidung wohnt ein Zauber inne.« Aber ist eine Entscheidung nicht gleichzeitig ein Anfang? Natürlich. Wer nicht entscheidet, kann nichts anfangen. Er zweifelt an jeder Weggabelung, schaut links, dann rechts und kommt keinen Schritt vorwärts. Manchmal ist die Entscheidung selbst wichtiger als die Frage, wofür. Man muss etwas tun. Was man tut, ist beinahe egal. Das erinnert mich an ein Erich-Kästner-Zitat: »Ich tu’s, gut tut’s?«
    »Nur Gutes tut es?« oder so ähnlich. Ich krieg es nicht mehr ganz zusammen. Was soll’s: Jedenfalls hat mein Leben eine Wendung genommen. Ich werde Vater werden, Verantwortung tragen, Familienoberhaupt sein. Und diesen Weg werde ich gerne gehen, weil ich ihn selbst gewählt habe – ich habe mich nicht drängen lassen, aus freiem Willen wähle ich diese Zukunft. Ja: Diesem Anfang wohnt wahrlich ein Zauber inne.
    Beschwingt und bezaubert von diesem Gedanken grüße ich bei meiner Ankunft im Büro nach links und rechts, wie ein Kaiser auf einem Triumphzug. Ich wirke so unwiderstehlich, so mitreißend, dass jeder zurückgrüßt, selbst der mürrische Kerl unten an der Pforte. Auf dem Gang begegne ich dem Chef. Seine Augen sind klein, und er sieht müde aus – aber er murmelt einen Gruß zurück! Die Wetterlage hat sich gebessert, drinnen und draußen. Die Sonne scheint, die Schwüle ist verschwunden, der Himmel ist blau und klar. Die Ideen fliegen mir nur so zu. Um halb zwölf kommt die erste Unterbrechung. Es ist Theodora. Sie strahlt. Ich lächle sie an. Keine Scheu heute, keine Verlegenheit.
    »Setz dich doch!«, rufe ich. »Wie geht’s? Du warst im Urlaub, habe ich gehört?«
    Sie schüttelt den Kopf.
    »Ich muss gleich wieder weg, leider«, sagt sie. »Ich wollte nur sagen: Ich habe deine Nachricht gehört.«
    »Meine Nachricht?« Ein kalter Schreck bricht durch meinen Gute-Laune-Panzer. »Wegen dem Kino«,

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