Der Vormacher
erklärt sie fröhlich. »Das war meine alte Nummer, die SIM-Karte habe ich meinem Bruder gegeben. Und entschuldige, dass ich dich nicht angerufen habe. Familiengeschichten. Ich wollte nach Paris übers Wochenende, aber mein Vater lag im Krankenhaus.«
Besuch aus der Vergangenheit, immer noch. Das Kapitel Theodora hatte ich in meinem Kopf ganz abgeschlossen. Und jetzt steht sie vor mir wie eine fröhlich zwitschernde Morgengabe; nein, wie zwei einladend gespreizte Beine; wie – mir fehlen die Worte. Aber ich muss etwas sagen.
Zum Glück springt mein Autopilot an: »Wie geht es deinem Vater jetzt?«
»Viel besser«, sagt sie, »er kann bald wieder nach Hause.«
Ihr Telefon piept.
»Jetzt muss ich wirklich«, sagt sie. »Also, morgen um halb acht vorm Kino?«
Ich nicke mechanisch. Sie wirft mir eine Kusshand zu und verschwindet. Eine feine Spur Parfum bleibt in der Luft hängen. Olazra Blue. Ich fühle mich verarscht. Ich will Theodora nicht mehr sehen. Ich habe mich schließlich für Jana entschieden. Dieses fröhliche, große Theodoramädchen ist nichts für mich. Muss ich jetzt mit zwei Frauen gleichzeitig ins Kino gehen? Wie erkläre ich Jana, dass Theodora mitkommt, wie Theodora, dass ich mit Jana auftauche? Meine gute Laune bröckelt.
Es gelingt mir, das Problem erst mal zu verdrängen. Ich vertiefe mich wieder in mein Projekt. Das Mittagessen lasse ich ausfallen, stattdessen hole ich mir einen Schokoriegel und eine Bionade am Automaten. Um drei Uhr kommt Linda mit zwei Bechern Kaffee in mein Büro.
»Na?«, frage ich.
»Er hat sich wieder beruhigt«, sagt sie. »Endlich. War ja kaum zum Aushalten.«
Ich nicke. Wir trinken Kaffee. Ich öffne die Jalousien. Ein Flugzeug zieht einen weißen Streifen durch den wolkenlosen Himmel.
»Henri«, sagt Linda plötzlich. »Du gehst mit Theodora ins Kino?«
Diesmal ist mein Autopilot so schnell, dass ich nicht einmal Zeit habe, richtig zu erschrecken.
»Klar«, sage ich, als wäre es die normalste Sache der Welt.
»So«, sagt Linda. Meine Antwort gefällt ihr nicht.
»War Janas Idee«, füge ich hinzu. »Du hast doch gehört, dass Theodoras Vater im Krankenhaus liegt?«
»Ja?«, fragt Linda. Sie hat es also noch nicht gehört. Komisch. Sie weiß doch sonst immer alles.
»So ist Jana halt«, sage ich. »Sie dachte, Theodora könnte sicher ein bisschen Ablenkung gebrauchen.«
»Eine soziale Freundin hast du da«, sagt Linda, ohne eine Miene zu verziehen.
Ich seufze. Jetzt bin ich ganz in meinem Element.
»Ehrlich gesagt«, sage ich und beuge mich über den Tisch zu Linda, »es wäre mir ja lieber, wenn sie nicht mitkommen würde. Ich weiß gar nicht, worüber ich mit ihr reden soll. Wahrscheinlich sitze ich die ganze Zeit dabei, während Jana und Theodora sich über Kindermoden unterhalten.«
Scheiße. Hoffentlich hat sie das überhört.
»Kindermoden?«
Hat sie nicht.
»Habe ich das noch nicht erzählt?« Ich mache große Augen. »Janas Schwester hat ihr zweites bekommen. Seitdem redet sie nur noch über Kindermoden. Sag mal, willst du nicht auch mitkommen?«
»Ich?«
»Warum nicht? Ist doch lustiger zu viert. Und der neue Jaquinet soll ja echt super sein. Ich reservier gleich mal.«
Ich fummle nach meinem Handy.
»Nein, lass mal«, wehrt Linda ab.
»Nein?« Ich mache so ein enttäuschtes Gesicht, dass ich mich wirklich enttäuscht fühle.
»Ich kann nicht«, sagt Linda. »Ich gehe mittwochs immer zu Aerobic.«
»Kannst du das nicht mal ausfallen lassen?«
Sie schüttelt den Kopf.
»Ich gehe mit einer Freundin, die kann ich nicht sitzen lassen.«
Ich beglückwünsche mich selbst zu der eleganten Wendung, die ich dem Gespräch gegeben habe.
»Noch was«, sagt Linda in verschwörerischem Tonfall. »Emil war vorhin bei Gustaf. Die Tür war nur angelehnt. Gustaf hat Emil sehr für seine Arbeit gelobt.«
Scheiße. Das klingt nicht gut.
»Gustaf hat nichts Konkretes gesagt, aber neulich hat er davon gesprochen, dass er einen zweiten Mann braucht, eine Art Vize.« Sie wirft mir einen bedeutungsvollen Blick zu. »Vielleicht solltest du dich ein bisschen mehr ins Zeug legen.«
Das sieht dem Chef ähnlich. Eigentlich tragen meine Ideen den Laden. Bloß kann Emil es immer so hinbiegen, dass es aussieht, als ob er die treibende Kraft wäre. Er wiederholt meine Einfälle und tut so, als ob sie von ihm kämen. Und jetzt soll er also Vize werden! Wenn hier jemandem eine Beförderung zusteht, dann mir und nicht ihm! Aber ich lasse mich nicht
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