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Der Vormacher

Der Vormacher

Titel: Der Vormacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ferdinand Decker
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hier mögen dich. Du wirst bestimmt ein guter Chef, glaub mir.«
    Vielleicht werde ich ein guter Chef, das stimmt. Aber nie, nie werde ich stark genug sein, selbst etwas zu werden; noch werde ich alles so hinschmeißen können, wie der Chef das heute getan hat. Nur die Starken schaffen das.

 
     
     
     
     
    D er Gedanke beschäftigt mich noch auf dem Weg zurück ins Krankenhaus. Ich bin nie stark gewesen, ich habe das Leben nie nach meinen Vorstellungen geformt, ich bin immer nur Baustoff gewesen für die Welten, die andere gebaut haben. Ganz egal, wie ich mich verhalte oder wer ich sein will, erst die anderen machen mich zu dem, was ich letztendlich bin. Was nicht in ihr Bild von mir passt, das ignorieren sie, oder sie deuten es um. Ich wollte Linda kleinkriegen, sie interpretiert es als Leidenschaft. Ich heirate Jana aus Ratlosigkeit, aus Pflichtgefühl, vielleicht sogar aus einem Schuldgefühl heraus; sie sieht es als Beweis meiner unvergänglichen Treue, als Zeichen einer Liebe, die stärker ist als der Tod. Ich mache meine Arbeit mehr schlecht als recht; der Chef erkennt darin eine höhere Weisheit.
    Vielleicht sollte ich mich freuen, dass sie sich alle zu meinen Gunsten irren. Schließlich könnte ich auch gute Absichten haben, die schlecht aufgefasst werden. Wahrscheinlich kann mich nur noch eine radikale Wahnsinnstat aus dieser Rolle befreien. Ich könnte Janas Mutter aus dem Fenster werfen; ich könnte mit einer Maschinenpistole das Büro entvölkern, an einem sonnigen Montagmorgen; ich könnte hier und jetzt die Scheidung einreichen. Jedoch bin ich zu keiner dieser Handlungen imstande, genauso wenig, wie ich mir selbst etwas antun könnte. Es wäre doch so leicht – eine Handvoll Pillen runterspülen, und dann kopfüber von der Brücke hinab in den dunklen Fluss, es ginge auch ganz schnell –, aber das bleiben Hirngespinste, ich habe nicht die Kraft, mir selbst etwas anzutun. Ich würde wahrscheinlich doch wieder nur Verständnis ernten: »Er konnte es einfach nicht mehr ertragen, die Krankheit seiner Frau war zu viel für ihn, so ein liebevolles Paar, sie waren immer so glücklich …«

 
     
     
     
     
    E s ist ein schöner Tag; es scheint nur noch schöne Tage auf der Welt zu geben, mit blauem Himmel und strahlendem Sonnenschein. Auf den Krankenhausfluren herrscht Sommerglück, es wird getuschelt und gelacht, die weißen Mäntel wehen wie Schmetterlinge. Es ist zum Kotzen.
    Auf dem Flur begegne ich Janas Mutter.
    »Visite«, erzählt sie aufgeregt, »drei Ärzte gleichzeitig, sie haben mich rausgeschickt. Und jetzt warte ich schon beinah eine halbe Stunde!«
    »Eine halbe Stunde«, wiederhole ich.
    In diesem Moment streckt eine Schwester ihren Kopf aus Janas Zimmer in den Flur hinaus.
    »Frau Brandt – wollen Sie wieder hereinkommen? Danke auch fürs Warten«, und als sie mich sieht: »Ah, Herr Hiller, gut, dass Sie hier sind, Sie kommen gerade zur rech ten Zeit.«
    Das Zimmer ist voll. Außer drei Ärzten und zwei Schwestern drückt sich noch ein schmächtiger junger Mann beim Fenster herum, wahrscheinlich ein Assistent. Die Ärztin, die Jana nach Amerika schicken wollte, ist auch dabei.
    »Herr Hiller!«, ruft der Chefarzt, ein bärtiger, dicker Mann, der an allen Seiten aus seinem Arztkittel hervorquillt. »Herzlichen Glückwunsch. Ihre Frau ist ein medizini sches Wunder!«
    »Henri!«, ruft Jana vom Bett aus. »Ich werde wieder gesund!«
    »Was?«, frage ich ungläubig.
    »Ehrlich gesagt, wir können es uns auch nicht erklä ren«, sagt die Ärztin kleinlaut.
    »Wir müssen noch ein paar Tests machen, aber – halten Sie sich fest – es sieht so aus, als ob die Krankheitsentwicklung rückläufig ist. Wie das sein kann, wissen wir nicht. Aber wenn die Entwicklung so weitergeht – und davon gehen wir aus –, kann Ihre Frau in ein oder zwei Monaten wieder nach Hause, vielleicht sogar früher.«
    »Mein Kind!«, ruft Janas Mutter. »Du wirst wieder gesund! Meine Jana!« Schluchzend wirft sie sich ihrer Tochter an den Hals.
    »Bitte«, sagt die Schwester, die uns hereingebeten hat, und fasst sie bei der Schulter, »ich verstehe Sie ja, aber er drücken Sie Ihre Tochter jetzt nicht.«
    Wortlos stehe ich dabei. Nur langsam dämmert mir, was ich gerade gehört habe. Ein oder zwei Monate, und al les wird wie früher. Jana ist wieder zu Hause, wir sind immer noch zusammen, wir sind sogar noch viel mehr zusammen als jemals zuvor. Ein oder zwei Monate. Vielleicht sogar schon früher. Ich drehe mich

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