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Der Vormacher

Der Vormacher

Titel: Der Vormacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ferdinand Decker
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ich erst recht nicht. Für eine Person ist das Haus viel zu groß. Oder wird Jana sich schnell einen anderen Mann suchen, damit sie ein paar Kinder kriegen kann, bevor es zu spät ist? Vielleicht tue ich ihr unrecht, aber »die biologische Uhr ist ein unerbittlicher Tyrann«, wie es auf einer der Internetseiten heißt, die Jana in letzter Zeit regelmäßig besucht.

 
     
     
     
    U m sieben klingelt das Telefon. Es ist Jana, »Henri!«, ruft sie.
    »Ja?«
    »Jonas kommt vorbei! Ein Überraschungsbesuch. Ich bleibe noch bis morgen früh, wenn du nichts dagegen hast.«
    Jonas ist ihr Lieblingscousin. Er arbeitet als Ingenieur auf einer Ölplattform. Jana klagt immer darüber, dass sie einander so selten sehen.
    »Hast du nicht morgen den Arzttermin?«, frage ich.
    »Um halb zwei erst«, sagt Jana. »Wenn ich um zehn losfahre, schaffe ich das spielend.«
    Was soll ich sagen?
    »Na ja«, meine ich. »Natürlich hätte ich dich gerne hier bei mir, aber du musst schon selbst entscheiden.«
    »Du bist ein Schatz, Henri!«, flötet sie aufgeregt. »Mach dir mal einen schönen Abend ohne mich. Du bist sicher erschöpft, so wie du die letzte Zeit geschuftet hast. Und nächstes Wochenende machen wir was Schönes zusammen! Ich liebe dich!«
    Hätte ich bloß nicht abgenommen.
    »Auf Wiedersehen, Jana«, sage ich. »Und grüß Jonas von mir.«
    »Mach ich«, antwortet sie. »Bis morgen. Tschüss!« So war es schon immer. Sie fragt, ob es mich stört, ich sage so höflich wie möglich, dass es mich stört, und dann macht sie es trotzdem. Ich wollte heute Abend mit ihr reden, aber natürlich nicht am Telefon. Jetzt muss ich unser Gespräch auf morgen Abend verlegen. Langsam macht sich die alte Nervosität wieder bei mir breit, die mich den ganzen Sonntag lang verschont hatte. Aber es bleibt dabei: Morgen Abend sage ich es ihr.

 
     
     
     
    Z um Glück ist der nächste Tag ein Montag, und ich darf wieder arbeiten. Ich haue einen Entwurf nach dem anderen raus. Wenn der Chef meinen Output sieht, wird er mit den Ohren schlackern. Zum Mittagessen gehe ich mit Theodora zum Chinesen. Ich bin einigermaßen locker, wir lachen viel, vielleicht habe ich doch noch eine Chance bei Theodora, wenn Jana nur schnell genug von der Bildfläche verschwindet. Im Laufe des Nachmittags kehrt die Ruhe vom Sonntag zurück. Schließlich ist es ganz normal, was ich tun will und tun muss, etwas Gutes sogar: Ich will die Wahrheit sagen, endlich die Wahrheit sagen. Selbstbewusst, beinahe grimmig steuere ich den Wagen durch den Feierabendverkehr nach Hause. Ein seltsamer Satz geht mir im Kopf herum: »Ich bin der Henker der Liebe / auf meinem schwarzen Pferd.« Es ist aus, sage ich mir, eigentlich ist es schon lange aus, aber heute Abend ist es wirklich und offiziell aus und vorbei. Als ich das Auto geparkt und den Motor ausgeschaltet habe, bleibe ich noch einen Moment mit dem Zündschlüssel in der Hand sitzen. Das ist unser Haus, denke ich, hier haben wir sechs Jahre lang gewohnt, hier werden wir nicht mehr leben, denn ab heute Abend gibt es kein »wir« mehr. Ich fühle nichts; alles geht seinen Gang, ich bin ein Werkzeug des Schicksals, weiter nichts.
    Im Haus ist es still. Kein Klicken von Computertasten, keine Jana am Telefon, keine CD, keine Kaffeemaschine.
    »Jana?«
    »Hier«, antwortet sie. Ihre Stimme kommt aus dem Wohnzimmer. Sie sitzt aufrecht auf der Bank und starrt vor sich hin. Vor ihr auf dem Tisch liegt ein Blatt Papier.
    »Alles in Ordnung?«, frage ich. Sie schüttelt den Kopf. Eine Ahnung beschleicht mich. Ob sie unfruchtbar ist?
    »Jana«, sage ich noch mal. Ich setze mich zu ihr. Ihre Augen glänzen, aber sie heult nicht. Ich nehme das Papier vom Tisch. Es ist ein ärztlicher Befund. Sie ist nicht unfruchtbar – es ist viel schlimmer.
    »Was bedeutet das?«, frage ich hilflos. »Jana!« Ich rüttle sie. Dieser starre Blick, diese kerzengerade Haltung machen mich ganz verrückt. »Jana! Sag doch was!«
    Jana lässt sich in meine Arme sinken. Sie murmelt etwas Unverständliches. Dann bricht sie in Tränen aus, wie ich es noch nie bei ihr erlebt habe. Sie schlingt ihre Arme um meine Hüfte und drückt ihren Kopf in meinen Schoß. Ich halte sie, ich streichle sie, ich weiß nicht, was ich tun soll, immer wieder sage ich kleine, beruhigende Worte, und so plötzlich, wie sie in Tränen ausgebrochen ist, beruhigt sie sich wieder, bis sie in ein konstantes, halblautes Schluchzen verfällt. Langsam dringt die Wahrheit zu mir durch.
    »Drei

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