Der Vormacher
schön macht – dass man durch die Liebe den anderen schöner sieht, als er ist, aber auch, dass ein Mensch selbst schöner wird, wenn er liebt. Ich dagegen fand immer, dass die meisten Menschen bescheuert aussehen, wenn sie lieben – grundlos glücklich, wild kichernd, rot glühend, für alle Wirklichkeit blind. Jana hingegen, wie sie heute Abend hier vor mir sitzt, mit dem neuen goldenen Ring am Finger, Jana leuchtet, sie ist durch die Liebe schön, ich würde beinahe sagen, sie ist die Liebe selbst, wenn das nicht vollkommen durchgeknallt klänge.
Am Dienstag darauf wird es Wirklichkeit. Ich und Jana werden Mann und Frau. Im kleinen Kreis; Janas Mutter kommt, meine Eltern schicken eine Karte. Eine Freundin von Jana und ein Studienkollege von mir sind die Trauzeugen. Es ist der glücklichste Tag in Janas Leben, so glücklich, dass es auch für mich ein wenig ein glücklicher Tag wird. Am Abend aber hat Jana einen Schwächeanfall, den ersten einer ganzen Reihe, wie sich in den nächsten Wochen herausstellen soll; spontan, wie sie behauptet, entschließt sich ihre Mutter zum Bleiben, um ihrer kranken Tochter beizustehen. Und so beginnen die leeren Wochen.
I n den leeren Wochen passiert nichts. Besser gesagt, es passiert immer wieder dasselbe, die Tage sind erfüllt von einer erbärmlichen Routine. Es gibt nur eine einzige, schleichende Entwicklung: Alles wird immer schlimmer. Janas Zustand verschlechtert sich zusehends. Ich muss immer öfter zu Hause bleiben, wo sich Janas Mutter eingenistet hat. Die Frau ist ein Fluch. Sie räumt herum, bis ich mich in meinem eigenen Haus nicht mehr auskenne. Jeden Tag brauche ich eine Viertelstunde, um meine Unterwäsche zu finden. Sie mischt sich in unsere Gespräche ein und weiß alles besser. Sie behandelt mich von oben herab. Jana behauptet, ihre Mutter sei gegenüber ihren Exfreunden genauso abweisend gewesen; sie wolle ihre kleine Tochter eben mit niemandem teilen. Das kann ich nicht glauben. Janas Mutter ist eine Über-Linke. Sie hasst die Konsumgesellschaft, deshalb läuft sie in fadenscheinigen Röcken herum, die nicht einmal die Heilsarmee noch annehmen würde. Sie hasst Reklame, also hasst sie Menschen, die Reklame machen, also hasst sie mich. Immerzu mustert sie mich mit zusammengekniffenen Augen, als ob ich ein Kindermörder wäre. Sie macht mir Vorwürfe, dass ich noch arbeite. Dabei bin ich schon auf halber Stelle, sehr zum Ärger des Chefs, aber da kann er natürlich nichts sagen, in so einem Fall.
Jana, die noch vor Kurzem überglücklich war, ist seit ihrem ersten Zusammenbruch in ein tiefes Loch gefallen. Sie arbeitet kaum noch, sie hat die meisten Aufträge abgesagt. Sie kann sich nicht konzentrieren, sagt sie, das lange Sitzen mache sie müde. Meistens liegt sie auf dem Sofa, neben sich einen Stapel Bücher, die sie nicht liest. Sie nimmt es dem Leben übel, dass es nur noch so kurz dauert, und das lässt sie vor allem an mir aus. Sie klagt über alles – dass wir die Reise nach China nicht mehr machen können, die sie immer machen wollte und die wir nie gemacht haben, angeblich, weil ich immer wieder Ausreden erfunden habe; dass ich immer so wenig im Haus getan hätte, obwohl ich nun beinahe alles mache, und das für drei, weil ihre Mutter nämlich mehr Arbeit macht, als dass sie eine Hilfe ist; und auch kleine Dinge, die sie nie gestört haben: dass ich zu wenig Zeitung lese, oder dass ich mehr Sport treiben soll, oder dass ich ihr nicht richtig zuhöre. Dabei gibt sie zu, dass sie nur aus Verbitterung so an mir herummäkelt, dass sie mit ihrem Schicksal nicht zurechtkommt und das an mir auslässt. Dann bricht sie in Tränen aus und hängt sich an mich wie ein nasser Sack. Meistens kommt so ein Ausbruch, wenn ich sie, nachdem ich stundenlang ihre Vorwürfe ertragen habe, endlich zur Ordnung rufe. Ich weiß, dass sie krank ist, aber diese Tiraden sind so untypisch für sie, das bin ich gar nicht von ihr gewöhnt. Ihrer Mutter gegenüber ist sie ganz anders, da spielt sie das tapfere kleine Mädchen, das seine Krankheit einfach ignoriert. »Ich will sie nicht damit belasten«, sagt sie.
Es gibt sie, die besseren Momente, aber sie sind selten und in der Regel kurz. Abends lese ich ihr aus dem Don Quichote vor, das ist ihr Lieblingsbuch, dann entspannt sie sich, ihr Gesichtsausdruck entkrampft sich, manchmal lächelt sie. Wenn nur die Mutter nicht wäre! Sie sitzt uns gegenüber auf der Bank mit einem Gesicht, als wollte sie mir im
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