Der Vormacher
ermutigt den anderen, seinen Vortrag fortzusetzen. Bei Linda funktioniert es.
»Er ist Kameramann beim Privatfernsehen«, sagt Linda, als ob das alles erklärte.
»Schön«, sage ich.
»Vielleicht können wir ja mal zu viert etwas unternehmen«, schlägt Linda vor. »Wenn das noch geht, meine ich.«
»Das geht bestimmt«, antworte ich. Ich sehe Helmut schon vor mir – so ein braun gebrannter Typ mit langem Haar, oder – noch schlimmer – so ein blasser Kerl mit hippem Brillengestell. Und dann sagt Linda etwas, was mir einen ordentlichen Schreck in die Glieder fahren lässt.
»Wenn man sich etwas wünscht«, sagt sie, »so richtig wünscht, dann geht es auch in Erfüllung.«
Ich weiß nicht, wie sie das meint. Redet sie über ihren neuen Freund, den sie sich seit einem Jahr gewünscht hat, oder will sie damit sagen, ich solle mir wünschen, dass Jana wieder gesund wird? Eine typische Frauenbemerkung jedenfalls, normalerweise würde ich so was sofort zu den Akten legen. Aber als ich mittags schwitzend an meinem Schreibtisch sitze, drängt sich mir eine dritte Interpretation auf. Habe ich mir nicht monate-, nein, jahrelang gewünscht, endlich wieder frei zu sein? Habe ich nicht zehn oder zwanzig Mal im Auto gesessen, vor dem Haus, in der stillen Hoffnung, dass sie aus irgendeinem Grund heute nicht zu Hause sein würde und auch nicht mehr nach Hause käme? Ich habe dabei niemals an ihren Tod gedacht oder an eine schlimme Krankheit, aber eigentlich ist das nur eine logische Folgerung, die ich nie gezogen habe. Seit Jahren wünsche ich Jana weg aus meinem Leben. Man weiß doch, wie Gedanken die Gesundheit beeinflussen können. Wer positiv denkt, wird nicht so oft krank, und wenn er krank ist, wird er wieder schneller gesund. Andersherum werden Leute, die sich zu viele Sorgen machen, schneller krank. Von Stress kriegt man Krebs und Magengeschwüre! Wie heißt das noch? Psychosomatisch. Könnte das nicht auch übertragbar sein? Jana und ich, wir leben schließlich unter einem Dach. Könnte es nicht sein, dass meine Gedanken so viel negative Energie erzeugt haben, dass Jana davon krank geworden ist? Bin ich schuld?
Im Nachhinein fällt mir auf, dass Jana vor allem dann über Symptome geklagt hat, wenn ich Trennungsgedanken hatte. Ich begreife nicht, wie mir so ein offensichtlicher Zusammenhang entgehen konnte! Jana liebt mich. Jana kann nicht ohne mich sein. Irgendein tief verborgener Sensor, von dem sie selbst nichts weiß, hat immer wieder und immer heftiger auf meine Treulosigkeit reagiert, und als ich mich endlich endgültig zum Bruch entschlossen hatte, hat dieser Sensor auf Selbstzerstörung geschaltet. Jetzt gibt es kein Zurück mehr – in ihrem tiefsten Inneren will Jana lieber tot sein als ohne mich. Und ich, ich kann nichts anderes tun, als dieses Spiel mitzuspielen. Die letzte Rolle, die mir noch bleibt, ist die des treuen Gefährten bis zum Grab. Wie stünde ich denn da, wenn ich Jana jetzt im Stich ließe? Dafür ist es zu spät, den Zug habe ich verpasst, oder besser gesagt: Die Zugverbindung ist ganz gestrichen. Es gibt nur noch die Flucht nach vorn. Inzwischen ist es drei Uhr mittags. Der Juwelier ist zehn Autominuten entfernt. Ich muss um jeden Preis vor Jana zu Hause sein. Ich lasse die Arbeit liegen und gehe. Linda redet in ihr Handy, ihre Lippen glänzen, sie sieht mich kaum, als ich ihr zum Abschied zuwinke.
Als Jana nach Hause kommt, ist es sieben Uhr. Ich spule das volle Programm ab – Blumen, Kniefall, die Ringe. Mit Gravur! Es hat mich eine Viertelstunde gekostet, den Juwelier so weit zu kriegen, die Gravur sofort zu machen, obwohl eigentlich eine Woche Wartezeit normal ist. Und ich bin noch mal nach Hause gefahren, um einen anderen Ring von Jana zu holen, wegen der Größe. Sogar das Standesamt habe ich schon angerufen und einen Termin für nächste Woche vereinbart. Normalerweise ist das unmöglich, die Wartezeiten sind lang, aber nachdem ich der Standesbeamtin ausführlich die Lage erklärt hatte, hat sie mir einen Extratermin außerhalb der üblichen Zeiten versprochen. Die Beamtin war äußerst freundlich und hilfsbereit. Es hat seine Vorteile, eine todkranke Freundin zu haben.
Jana ist zu erschöpft vom langen Tag im Krankenhaus, um ihrer Freude laut Ausdruck zu verleihen, aber das stille, tiefe Glück, das von ihr ausgeht, rührt mich zutiefst. Mein Gott, wenn ich sie doch immer so sehen könnte wie jetzt! Dann wäre das mit der ewigen Liebe kein Problem mehr. Man sagt, dass Liebe
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