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Der Vormacher

Der Vormacher

Titel: Der Vormacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ferdinand Decker
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hat gewirkt. Mein Schwanz ist noch immer dick und schwer, aber er hängt wieder, wie eine alte, reife Frucht; und als ich mich rasiert und in saubere Klamotten gezwängt habe, ist der Spuk vorbei. Nur Kopfweh habe ich, von dem eiskalten Wasser. Aber Kopfweh ist nichts, verglichen mit der Qual meiner unbegreiflichen Dauererektion. Als das Kopfweh abebbt, bekomme ich Hunger. Ich halte vorm Chinesen, bei Fritz, aber der Laden ist geschlossen.

 
     
     
     
     
    D as Büro ist wie ausgestorben. Kein geschäftiges Gewusel in den Fluren, kein Rascheln und Tastenklicken hinter halb geöffneten Türen. Die Tür zum Vorzimmer, zu Lindas Zimmer, steht offen. Die Tür zum Chefzimmer aber ist zu. Ich höre leise Stimmen. Ich klopfe an. Mir wird geöffnet, ich sehe nicht, von wem. Alle sind sie da – Theodora, Linda, Emil und die anderen Kollegen, ein paar sitzen auf Stühlen, die meisten einfach auf dem Fußboden, gegen die Wand gelehnt. Es sieht aus wie bei einem Sit-in.

 
     
     
     
     
    I n der Mitte des Raumes sitzt der Chef auf seinem Schreib tisch. Seine Augen leuchten, als er mich sieht.
    »Hiller!«, ruft er, als wäre ich sein verlorener Sohn. Er rutscht vom Schreibtisch, springt über Emils ausgestreckte Beine, der erschreckt zu ihm aufsieht, und schließt mich in die Arme. Ein Raunen geht durch den Raum. Nachdem er mich umarmt hat, zieht mich der Chef in die Mitte des Zimmers.
    »Liebe Kollegen«, sagt er feierlich. »Endlich sind wir alle beieinander. Wir hätten das viel früher machen sollen, ich hätte das viel früher machen sollen, aber ich war blind, blind für die wirklich wichtigen Dinge im Leben. Als euer Chef bin ich manchmal tyrannisch, oft ungerecht gewesen, ich weiß. Aber heute ändert sich alles.«
    Er breitet die Arme aus.
    »Seit zwölf Jahren gibt es uns, gibt es diese Agentur, gibt es Wolfram Advertising. Angefangen habe ich ganz allein, nur mit einem Telefon und einem Zeichenblock. Jetzt arbeiten hier siebenundzwanzig Köpfe, und nicht irgendwelche Köpfe, siebenundzwanzig der hellsten Köpfe, die größten Leuchten sozusagen. Ich möchte euch sagen, wie stolz ich auf euch bin, auf eure Arbeit, auf euren Einsatz.«
    Der Chef schaut sich um und wirft uns ein Lächeln zu, nein, er streut sein Lächeln über uns aus, in alle Richtungen strahlt er Freude und Liebe aus, als wäre er der Prophet auf dem heiligen Berg und wir sein auserlesenes Volk.
    »Aber!«, ruft er auf einmal und reckt den Zeigefinger gen Zimmerdecke, »in diesen zwölf Jahren, in denen wir uns gemeinsam einen Spitzenplatz in der Branche erarbeitet haben, ist nicht alles gut gewesen. Vor lauter Konkurrenzkampf und Gewinnstreben habe ich aus den Augen verloren, was wirklich wichtig ist, was wirklich zählt, nämlich das Miteinander, die Gemeinschaft, gute, positive Gefühle, Liebe, Hoffnung, Zuversicht. Ich habe nie die Zeit für eine Frau oder Kinder gehabt; ich habe mir jegliches Privatleben untersagt, weil man nur so schnell an die Spitze kommt und vor allem: an der Spitze bleibt. So habe ich mein Leben vergeudet; ich habe es verkauft, verkauft für ein großes Haus, in dem ich nie bin, und einen Stapel Kreditkarten, erst Silber und Gold, dann Platin, für Air-Miles-Karten, öde Geschäftsreisen, eine Sechzigstundenwoche, Kniefälle, Gemeinheiten, Lügen und Intrigen.«
    Er ballt die Faust und schüttelt sie, er bläht die Nasenflügel, er schüttelt den Kopf, er ist so erfüllt von seiner Botschaft, dass er Schwierigkeiten hat, die richtigen Worte für seine Erleuchtung zu finden. Es ist totenstill im Zimmer. Wir starren ihn an mit der ängstlichen Ehrfurcht, die man Heiligen und Verrückten gegenüber an den Tag legt.
    »Bis gestern«, sagt er und lässt sich wieder auf der Tischplatte nieder. »Und das habe ich dir zu verdanken, Hiller. Entschuldige, Henri, warum sage ich immerzu Hiller, das klingt ja, als wären wir beim Militär. Henri – was du gestern gesagt hast, hat mich nicht nur nachdenklich gemacht, es hat mich inspiriert, es hat mein Leben auf den Kopf gestellt. Ich bin die ganze Nacht durch die Stadt gelaufen, am Fluss entlang, bis in die Vororte hinein. Ich wohne hier, seit ich die Agentur gegründet habe – seit zwölf Jahren –, aber gestern habe ich diese Stadt zum ersten Mal wirklich gesehen, all die Fassaden, Fenster und Türen, die Bäume in den Alleen, ich habe zum ersten Mal den Wind gespürt, der in ihren Wipfeln rauscht, zum ersten Mal all die Lichter gesehen in der Nacht; so viele Menschen, und

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