Der wahnsinnige Xandor
den unerbittlichen Zug. Mythor war zu keiner Gegenwehr fähig, denn ein Schlingarm hielt seine Schwerthand fest.
Da durchschlug Nottr den Strang, der Mythors Waffenarm umschlang. Ein schnalzendes Geräusch, und Mythor war frei. Die fleischfressende Pflanze schloss sich mit einem letzten Klappern ihrer Fangdornen.
Erschöpft kämpften sich Mythor und Nottr durch den aufgewühlten Sumpf zurück zu dem Pfad, auf dem Fahrna und Sadagar warteten. Sie halfen ihnen hinauf. Als der Schlamm abrann, sah Mythor, dass sich an seinen Beinen an die zwanzig fingerlange Würmer festgesaugt hatten.
»Blutegel!« stellte Sadagar fest. »Manche Heilkundige verwenden diese Biester für den Aderlass. Aber ich finde diese Tiere eklig.«
Das fand auch Nottr. Fluchend klatschte er seine Beine ab und zerquetschte so die Blutsauger, die ihn befallen hatten. Sie fielen ab und hinterließen blutige Male. Nachdem sich auch Mythor von den Egeln befreit hatte, setzten sie ihren Weg fort.
»Lieber gegen Hunde kämpfen«, sagte Nottr und zertrampelte die über den Boden zuckenden Blutsauger mit den Füßen.
»Jetzt gibt es kein Zurück mehr«, sagte Mythor.
»Stimmt«, pflichtete Sadagar düster bei. »Der wahnsinnige Xandor hat uns in seiner Gewalt und entlässt uns nicht mehr daraus.«
»Wenigstens sind die Irrlichter verschwunden«, stellte Mythor fest. Er sank mit einem Fuß im Schlamm ein und hielt sich nach links, wo der Boden fester war.
»Das bedeutet nur, dass die Spione des Xandors alles ausgekundschaftet haben«, erklärte Fahrna.
»Was ist ein Xandor?« fragte Nottr und hieb einer dicken Schlange den Kopf ab, als sie ihn aus dem Sumpf reckte.
»Ein Zwischending zwischen Mensch und Dämon«, sagte Fahrna. »Der Xandor, der diesen Sumpf beherrscht, heißt Krüdelzuhr. Einst war er ein unbedeutender Magier, der im Dienst des ugalischen Grafen Magnor de Freyn stand. Magnor de Freyn war ein Alptraumritter, der Krüdelzuhr befahl, für ihn die Dämonen zu beschwören. Aber Krüdelzuhr war dieser Aufgabe nicht gewachsen, man könnte aber auch sagen, dass er einen zu starken Willen hatte, so dass der angerufene Dämon nicht von ihm Besitz ergreifen konnte. Jedenfalls brachte die Beschwörung Krüdelzuhr um den Verstand, und das machte ihn zu einem Xandor. Ein Xandor besitzt übernatürliche Fähigkeiten, gehört aber nicht den Mächten der Finsternis an. Er steht dazwischen, ist unberechenbar und deshalb gefährlicher als so mancher Dämon.«
»Unsinn!« sagte Nottr überzeugt. »Du nur unverstandenes Zeug reden, Chekse. Schwert stärker als Xandor!«
»Wenn du nur recht hast, Nottr«, sagte Fahrna.
Mythor blieb unwillkürlich stehen, als der feste Pfad auf einmal endete. Wohin er auch trat, überall gab der Boden unter seinem Gewicht nach. Er stocherte mit dem Schwert im Schlamm, bis er eine Stelle fand, die nicht so tief war. Vorsichtig watete er in den Sumpf, ihn vor jedem Schritt mit dem Schwert auslotend.
»Ich gehe nicht weiter!« zeterte Sadagar. »Ich lasse mich doch nicht von den Blutegeln aussaugen.«
»Du kein Blut«, meinte Nottr lachend. »Du nur Haut und Knochen. Und lange Hosen an. Geh schon, Steinmann.«
Der Wahrsager murrte, aber er fügte sich. Fahrna folgte Mythor bedenkenlos.
»Chekse tapferer als du!« sagte Nottr zu Steinmann Sadagar.
»Wann wirst du endlich lernen, dass es Hexe heißt?« versetzte Sadagar und zuckte mit dem Arm zurück, als er ihn ungewollt bis zum Ellbogen eintauchte. Sofort hatten sich an seinem Handgelenk drei Blutegel festgesaugt. Er entfernte sie fluchend.
»Hexe tapfer!« sagte Nottr.
»In Wirklichkeit hat sie die Hosen voll«, behauptete Sadagar. »Ihre einzige Hoffnung ist, dass sich hier irgendwo ein Königstroll herumtreibt, den sie für sich gewinnen könnte.«
»Auf einen solchen wäre mehr Verlass als auf deinen Kleinen Nadomir«, meinte Fahrna. Der Sumpf reichte ihr bis über die Hüften.
»Achtung!« rief Mythor. Er hatte unter den Beinen den Boden verloren und sank bis zum Hals ein. Bevor das schlammige Wasser jedoch über seinem Kopf zusammenschlagen konnte, fand er wieder Halt unter den Füßen. Die anderen wichen dem Sumpfloch aus.
Der Sumpf wurde wieder seichter, und sie versanken darin nur noch bis zu den Knien. Mythor strich im Gehen mit der Schwertklinge über seine Schenkel, um die vielen Blutegel abzustreifen, die sich dort festgesaugt hatten. Sadagar und Fahrna hatten diese Sorge nicht. Der Wahrsager offenbar deswegen, weil er lange Beinkleider trug, und
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