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Der Weg des Falken (Literatur-Literatur) (German Edition)

Der Weg des Falken (Literatur-Literatur) (German Edition)

Titel: Der Weg des Falken (Literatur-Literatur) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jamil Ahmad
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im Eimer und drückte ein paar Tropfen Wasser auf ihr Gesicht. Zärtlich und ohne Scham ob der vielen Augen, die ihn beobachteten, wischte er ihr das Gesicht mit dem feuchten Tuch ab, während sie in seinem Arm lag.
    Ein junger Soldat lachte meckernd, verstummte aber augenblicklich, als sich die Augen seines Vorgesetzten und seiner Kameraden böse auf ihn richteten.
    Nachdem er ihr Gesicht gereinigt hatte, schöpfte der Belutsche mit der rechten Hand etwas Wasser und spritzte ihr ein paar Tröpfchen auf die Lippen. Als sie Wasser spürte, fing sie an, wie ein Tierjunges an seiner Hand und seinen Fingern zu saugen. Urplötzlich warf sie sich auf den Eimer, steckte den Kopf hinein und trank mit langen keuchenden Geräuschen, bis sie sich verschluckte. Da schob der Mann sie geduldig zurück, trank selbst ein wenig und trug den Eimer zum Kamel, das ihn in einem einzigen Zug leer soff.
    Der Mann trug den leeren Eimer zum Grüppchen von Soldaten zurück, setzte ihn ab und stand schweigend und regungslos da.
    Endlich sprach der
subedar
. »Wir haben dir Wasser gegeben. Wünschst du sonst noch etwas?«
    In dem Mann schien sich ein innerer Kampf abzuspielen, und nach einer gewissen Zeit erwiderte er sehr widerwillig den Blick des
subedars
. »Ja, ich wünsche Zuflucht für uns beide. Wir sind Siahpads aus Killa Kurd und auf der Flucht vor ihrer Familie. Wir waren drei Tage im Sturm unterwegs, und weiterzuziehen wäre sicherlich …«
    »Zuflucht«, unterbrach der
subedar
schroff, »kann ich nicht bieten. Ich kenne eure Gesetze gut, und weder ich noch einer meiner Männer wird sich zwischen einen Mann und das Gesetz seines Stammes stellen.«
    Er wiederholte: »Zuflucht können wir dir nicht gewähren.«
    Der Mann biss sich auf die Lippe vor innerer Qual. Durch seine Bitte um Zuflucht hatte er sich selbst erniedrigt. Er hatte seine Ehre aufs Spiel gesetzt, indem er angeboten hatte, sein Dasein als
hamsaya
zu verbringen, als einer, der im Schatten und unter dem Schutz eines anderen lebt. Er wandte sich wie zum Gehen, begriff aber, dass er keine andere Wahl hatte, als sich noch weiter herabzuwürdigen.
    Wieder sah er dem
subedar
ins Gesicht. »Ich akzeptiere die Antwort«, sagte er. »Ich werde nicht um Zuflucht bitten. Kann ich für ein paar Tage Essen und Obdach haben?«
    »Das können wir dir gewähren.« Der
subedar
beeilte sich, seine vorherige Härte wiedergutzumachen. »Obdach ist dir gewiss. Solange du es wünschst, solange du bleiben möchtest.«

    In einiger Entfernung vom Fort gab es eine lange Reihe von Unterkünften. Sie waren während des Ersten Weltkriegs errichtet worden, als die Mannschaftsstärke dieses Forts für kurze Zeit fast auf das Hundertfache angestiegen war. Kaum war der Bau vollendet gewesen, hatte sich Sand an den Wänden angelagert. Langsam und unablässig war er höher und höher gestiegen und hatte, da ihn niemand wegräumte, nach wenigen Jahren die Höhe der Dächer erreicht. Im Lauf der Zeit hatten die meisten Wände und Decken unter seinem krümelnden Druck nachgegeben. Jetzt, fast fünfzig Jahre nach ihrer Errichtung, waren diese Unterkünfte von Sandhaufen besetzt. Dennoch gab es einige wenige Räume, die noch nicht eingestürzt waren.
    In einem davon gewährte man Gul Bibi und ihrem Geliebten Obdach. Ein paar Tage lang rührte sich das Paar kaum aus seiner kleinen Kammer. Die einzigen Lebenszeichen waren die sich öffnenden und schließenden Fensterläden, wenn der Wind nachließ oder erstarkte oder wenn die Soldaten Essen zur Hütte brachten. Eine Weile nachdem das Essen an der Türschwelle abgestellt worden war, öffnete sich die Tür verstohlen, und der Blechteller wurde hineingezogen, um eine Weile später wieder hinausgeschoben zu werden.
    Als die Tage verstrichen, gewann das Paar offenbar an Mut. Wenn der Mann herauskam, um nach seinem Kamel zu sehen, ließen sie die Tür manchmal offen. Eines Tages kam dann auch die Frau heraus, um aus Dornensträuchern einen Besen zu binden, mit dem sie den Raum auskehren könnte. Nach einer kurzen Zeit der Untätigkeit fing der Mann aus eigenem Antrieb an, mit seinem Kamel Wasser für die Soldaten zu holen. Zweimal am Tag belud er das Tier mit Wasserschläuchen und suchte die Quelle auf. Einmal brachte er als Geschenk ein paar Körbe zum Fort, die das Mädchen aus Dattelpalmenblättern geflochten hatte. »Darin könnt ihr euer Brot aufbewahren«, erklärte er den Soldaten. Und diesem Muster folgte das Leben, während die Zeit verging. Aus Tagen

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