Der Weg des Feuers
Sicherheitskräften zu entkommen, blieb mir nur noch eine Wahl: Ich musste die Herrschermauern überwinden und nach Kanaan fliehen. Jetzt will ich den Kampf gegen den Unterdrücker von hier aus wieder aufnehmen. Wenn mich der Prophet in seine Reihen aufnehmen will, werde ich ihn bestimmt nicht enttäuschen.«
»Wer hat dir von ihm erzählt?«
»Meine asiatischen Freunde. Außerdem hört man überall von ihm. Der Pharao und sein Gefolge zittern bereits vor Angst. Ich bin sicher, dass sich bald auch weitere Ägypter der Sache des Propheten anschließen werden.«
»Wie konntest du die Herrschermauern überwinden?«
»Ich habe mir eine abgelegene Grenzfeste ausgesucht und das Land bei Nacht verlassen. Die Bogenschützen haben auf mich geschossen, mich aber nur an der Schulter getroffen.«
Iker zeigte den Männern seine Verletzung.
»Wer weiß, ob er sich die Wunde nicht selbst zugefügt hat?«, mutmaßte ein Kanaaniter. »Die Nase von diesem Ägypter passt mir nicht, das ist bestimmt ein Spitzel!«
»Da wäre es ja reichlich dumm von mir, mich so in die Höhle des Löwen zu stürzen, oder? Nein, ich habe bereits einige Male mein Leben für die Verteidigung eures Landes aufs Spiel gesetzt und höre erst damit auf, wenn ihr nicht mehr unterdrückt werdet.«
Einer der angriffslustigen Jungen von vorher tauchte auf und flüsterte dem Anführer etwas ins Ohr. Dann rannte er wieder davon.
»Du bist tatsächlich allein gekommen. Der Junge sagt, dass dir niemand gefolgt ist«, stellte der Bärtige fest.
»Das beweist gar nichts!«, erregte sich einer seiner Gefährten. »Wir sollten sichergehen und ihn aus dem Weg räumen.«
Die Stimmung wurde immer drückender.
»Tut nichts, was ihr nicht wieder gutmachen könnt. Wenn ihr es bereut, ist es zu spät«, redete Iker auf sie ein. »Als Schreiber bin ich über alles, was in Memphis geschieht, und über die Gepflogenheiten im Palast gut unterrichtet. Dadurch wäre ich eine große Hilfe für euch.«
Dieser Hinweis sorgte für Verwirrung unter den Kanaanitern. Die meisten hielten ihn für glaubhaft und erklärten sich bereit, den jungen Mann in ihre Reihen aufzunehmen. Zwei jedoch verlangten noch immer seinen Tod.
»Wir brauchen Bedenkzeit«, schloss der Bärtige. »Bis wir uns entschieden haben, bist du unser Gefangener. Wenn du versuchst zu fliehen, töten wir dich.«
6
Isis betrat die Kapelle im Tempel von Sesostris, in der die goldene Barke des Osiris stand. Da dieses Gebäude ständig überwacht wurde, stellte es eine sichere Zuflucht dar. Nur das königliche Paar, die ständigen Priester und die junge Priesterin hatten Zugang zu dem Heiligtum, um dort die Riten zu feiern. Wenn der Pharao und die Große Königliche Gemahlin abwesend waren, beseelte Isis die Barke wieder, der es wegen der Krankheit der Akazie an der für die Feier der Mysterien unerlässlichen Energie fehlte. Nur die direkte Ansprache ihrer verschiedenen Elemente hielt sie am Leben.
Die junge Frau sammelte sich, hob den Schleier von der Reliquie und sprach folgende Worte aus dem Totenbuch:
»Dein Bug ist die Büste des Herrn des Westens, des auferstandenen Osiris, dein Heck die des Gottes Min, des belebenden Feuers. Deine Augen gehören dem Geist, der den Großen sehen kann. Dein Ruder besteht aus dem himmlischen Paar der Stadt Gottes. Dein zweifacher Mast ist der einzigartige Stern, der die Wolken vertreibt, dein vorderes Tauwerk ist die große Helligkeit, dein hinteres das Fell der Pantherin Mafdet, die das Haus des Lebens hütet, dein Tauwerk steuerbord ist der rechte Arm des Schöpfers, Atum, das backbord ist, sein linker Arm, deine Kabine ist die mächtige Himmelsgöttin, und deine Ruder sind die Arme von Horus auf Reisen.«
Für einige Augenblicke schien das Gold lebendig zu leuchten. Die ganze Kapelle erstrahlte in seinem Licht, die Decke verwandelte sich in einen Sternenhimmel, und die Barke fuhr wieder durch den Kosmos.
Dann wurde es erneut dunkel, das Gold verblasste, und die Bewegung endete.
Solange die Akazie nicht wieder ergrünte und Abydos das Gold der Götter fehlte, konnte Isis nicht mehr erreichen. Immerhin bewahrten die Sprüche der Erkenntnis den Zusammenhalt der Barke und verhinderten, dass sie auseinander fiel.
Nachdem sie diese Pflicht erledigt hatte, überzeugte sich die junge Frau, dass Nordwind ausreichend Futter bekommen hatte. Jeden Tag unternahm sie mit ihm ausführliche Spaziergänge entlang des Ackerlandes. Immer bereit, jemandem eine Last abzunehmen, hatte der
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