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Der Weg in die Verbannung

Der Weg in die Verbannung

Titel: Der Weg in die Verbannung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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auffallenden, die Erregung auflösenden Gelächter ringsum umarmte er Red Jim immer wieder. »Mein Sohn, mein Neffe, mein Vater, mein Jim! So müssen wir uns wiedersehen!«
    Jim klopfte die Sägespäne ab, und da außer ihm und dem Clown niemand mehr in der Manege war, der Beifall entgegennehmen konnte, unterzog er sich dieser Aufgabe mit Old Bob zusammen.
    Die Zuschauer hatten sich beruhigt und klatschten so kräftig, wie es sich zum Abschluß eines großen Tages gehörte. Dann begannen sich die Reihen zu leeren.
    Jim nahm sein Pferd, das neben ihm stand, am Zügel und ging mit Old Bob zusammen langsam in Richtung des Manegenausgangs. Er grüßte dabei mit der freien Hand und schaute zu den Logen und hinauf zu den Zuschauerbänken, wo da und dort noch einmal Beifall aufflackerte. Die beiden Damen in Loge 6 patschten tüchtig in die Hände, um für Red Jim einen letzten, allgemeinen Applaus zu erzwingen. Das gelang ihnen. Ein Teil des hinausströmenden Publikums blieb noch einmal stehen, und das Klatschen verstärkte sich wieder. Jim und Old Bob hielten an und dankten wiederum.
    »Mein Lieber«, sagte der Clown dabei zu Jim, »viele Hunde sind des Hasen Tod. So war das immer, so ist das heute, und so wird es bleiben!«
    »Was soll denn das? Hast du noch mehr solcher Sprüche auf Lager?« fragte Jim, müde und gereizt, denn trotz allen Beifalls wurmte ihn seine Niederlage. Bis dahin hatte er geglaubt, ein Kampf mit drei Indianern sei für ihn nur ein Kinderspiel. Wie oft war er schon mit mehr als drei Gegnern fertig geworden!
    »Hab’ noch mehr solche Sprüche auf Lager!« plauderte Old Bob weiter und verbeugte sich, die Hand auf das Herz legend, tief gegenüber den beifallspendenden Zuschauern. »Zum Beispiel: Das dicke Ende kommt nach! Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben! Es ist nichts so fein gesponnen, es kommt doch an das Licht der Sonnen! Hüte dich vor Weiberzungen!«
    »Jetzt reicht’s mir aber!«
    »Ich glaube auch, daß es dir reichen wird«, murmelte Old Bob als Antwort, aber so undeutlich, daß Jim diese Worte nicht mehr verstehen konnte.
    Der Beifall erlosch endgültig, und die beiden Artisten verließen die Manege und das Zelt. Kaum hatten sie den Vorhang passiert, als aus dem Halbdunkel drei Gestalten hervorsprangen. Der eine ergriff den Zügel von Jims Pferd, die beiden anderen packten den Cowboy rechts und links. Schon stand auch ein vierter vor Jim und hielt ihm den Revolver entgegen:
    »Lassen Sie sich gutwillig entwaffnen, oder ich schieße!«
    »Was ist das hier für’n Wahnsinn …!« Während Jim diese Worte hervorstieß, nahm ihm Old Bob Pistole und Messer ab. »Polizei!« sagte der Mann mit dem Revolver kurz. Es blieb Jim nichts anderes übrig, als sich die Handschellen anlegen zu lassen.
    »Hast du das gewußt?« zischte er Old Bob an. »Jetzt versteh’ ich deine Sprüche!«
    »Dann ist es ja gut!« antwortete Bob unbewegt. »Warum hast du auf meinen Vizesohn, den Harry, geschossen? Das werde ich dir nie verzeihen, du Verbrecher. Jetzt ist mir der Harry weggeritten und wird niemals wiederkommen. Gute Nacht!«
    Old Bob ging. Er ging zu seinem Wagen, trat ein und ließ sich auf einen Stuhl fallen. Die Lampe zündete er nicht an. Im Dunkeln und allein mit sich selbst, begann er auf einmal zu weinen.
    Als er keine Tränen mehr hatte, lief er hinaus in den Stall zu seinen Eseln. Er streichelte sie der Reihe nach und sprach mit ihnen über die neue Nummer, die er jetzt einstudieren mußte. Er versicherte den Tieren, daß er künftig ganz allein mit ihnen arbeiten wolle, und er stellte sich vor, wie die Leute lachen würden, wenn er sich als Esel verkleidete und die Sprünge der wirklichen Esel nachzuahmen trachtete. Über der Trauer, die in seinen Kinderaugen lag, begann er wieder zu lächeln.
    Er verabschiedete sich von seinen Eseln, ging schlafen und kümmerte sich nicht im geringsten um die Unruhe, die noch bis zum frühen Morgen im Zirkusgelände herrschte.
    Zu denjenigen Zuschauern, die den Zirkus nach der Vorstellung als letzte verlassen hatten, gehörten die Familien Smith und Finley. Sie wollten die sich drängende Menschenmenge erst abfluten lassen.
    »Nie in meinem Leben gehe ich wieder in eine Zirkusvorstellung!« sagte Tante Betty, völlig erschöpft und derangiert. Die Schweißtropfen hatten sich kleine Bachbetten durch den Puder auf ihrer Stirn gegraben. Cates Lippen zitterten, und die Tränen liefen ihr aus den Augen. Douglas war ritterlich an ihrer Seite. Ann Finley

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