Der Weg in die Verbannung
und der Todesangst warf sich der Knabe samt dem Raubvogel rücklings die Wiese hinab, so daß er sich mehrfach überschlug. Der Vogel hatte dabei losgelassen. Harka fiel in den kleinen Bach, der aufspritzte, und kroch wieder aus dem Wasser heraus.
Dabei sah er den Adler, der ihn mit vorgestellten geöffneten Fängen zum zweitenmal anfliegen wollte. Der Knabe hatte die eine Stange des Hirschgeweihs bei seinem Sturz noch festgehalten, und diese streckte er jetzt als Waffe vor, um den Raubvogel abzuwehren. Das starke Tier, dessen Schwingen sich zwei Meter weit breiteten, wollte aber von der erhofften Beute noch nicht ablassen. Es umkreiste den Knaben, dem das Blut vom Kopf in die Augen floß, so daß er alles nur noch undeutlich erkennen konnte, und dem auch schwindlig war von den starken Schnabelhieben, die ihn auf den Kopf getroffen hatten. Harka wußte aber, daß es nur eins gab: sich verteidigen! Sonst war er verloren. So hielt er sich auf den Füßen und schwang die Hirschstange mit den sechs spitzen Enden kräftig um den Kopf, um sich zu schützen.
Der Adler stieg wieder etwas höher, aber offenbar in der Absicht, einen neuen Angriff vorzubereiten. Harka wischte sich mit dem linken Arm das Blut vom Gesicht, das ihm die Augen immer noch verkleben wollte. Sein ganzer Kopf war blutverschmiert, und er taumelte den Wiesenhang ein Stück hinab. Diesen Augenblick benutzte der Adler, um zum zweitenmal anzugreifen. Wieder hörte Harka das Rauschen des pfeilschnellen Sturzflugs in seinem Rücken. Er wandte sich um, hob die Hirschstange mit beiden Händen und schlug mit allen Kräften gegen den herabstoßenden Vogel. Auf irgendeine Weise mußte dieser getroffen oder momentan abgeschreckt sein; Harka hatte den Eindruck, daß der Adler zurückwich. Er hob die Hirschstange wieder, bekam dabei aber das Übergewicht und stürzte, diesmal ohne es beabsichtigt zu haben, den Wiesenhang zum Bach hinunter. Der Adler nahm seinen Vorteil sofort wahr und stieß wieder herab. Harka kam nicht schnell genug auf, hielt dem Raubvogel aber noch die Stange mit den Spitzen entgegen, so daß dieser sich nicht geschickt einkrallen konnte.
Der Adler kam von der Seite heran und schlug die Fänge in Harkas Arm, um dann auf seine Schläfe einzuhacken.Harka drückte das Gesicht ins Gras, um wenigstens die Augen zu schützen. Er hatte keine Zeit darüber nachzudenken, ob er verloren sei, aber seine Widerstandskraft ließ nach, und er konnte nicht mehr klar denken. Er merkte aber, daß der Griff der Adlerklauen in seinem blutenden Arm schwächer wurde und daß irgend etwas vorging, was er nicht deutlich erkennen konnte. Es waren Geräusche um ihn, und etwas Schweres schlug ihn auf die Wade, so daß er neuen Schmerz empfand.
Er versuchte, sich zusammenzurollen, um seine Glieder zu schützen, und obgleich er nicht mehr aus den Augen schauen konnte und sein Gehirn nur noch unklar registrierte, was in die Ohren eindrang, begriff er auf einmal, was im Gange war. Einer der Mustangs war herbeigekommen und kämpfte mit dem. Adler um den Jungen. Der Mustang schlug und biß um sich und versuchte dabei, auf den am Boden liegenden Knaben Rücksicht zu nehmen, aber das gelang ihm nicht immer. Endlich war Ruhe.
Harka lag am Bachufer, vom Blutverlust erschöpft, von den Schnabelhieben auf den Kopf halb betäubt. Er rührte sich nicht mehr. Der Grauschimmel stand neben ihm und stieß ihn mit dem Maul. Auch der Fuchs kam jetzt herbei. Die Tiere drängten die Köpfe zusammen und stampften mit den Hinterhufen. Sie bemerkten sehr wohl, daß der Adler hoch oben in den Lüften noch immer seine Kreise zog. Ein paar seiner schön gezeichneten Schwanzfedern lagen im Grase. Der Grauschimmel hatte sie ihm ausgerissen.
Der Knabe merkte, daß ihm immer elender und kraftloser zumute wurde. Aber obgleich er am liebsten eingeschlafen wäre, um nichts mehr von sich selbst zu wissen, regte sich in ihm noch eine dumpfe Widerstandskraft des Lebensgefühls. Der Blutverlust machte ihm Durst, und der Durst begann ihn so zu quälen, daß er den Duft des Baches, der dicht an ihm vorbeifloß, zu atmen glaubte. Er kroch ein paar Handbreit weiter, bis er das Wasser mit dem Mund erreichen konnte, und trank lange und viel.
Dadurch wurde ihm etwas besser. Er schob sich wieder zurück. Als er nach seinem schmerzenden Kopf faßte, war seine Hand sofort naß von Blut. Er vermochte zu denken, daß er das Blut stillen müsse. In der Grube lagen noch Baststreifen, die übriggeblieben waren. Aber wie
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