Aus dem Tagebuch einer Rabenmutter (German Edition)
Pränatale Disharmonie
Es begann wie so vieles im Leben mit einem blauen Punkt. Nein, nicht der Urknall und plötzlich war die Erde da. Genau genommen war es auch kein blauer Punkt, sondern der No-Name-Schwangerschaftstest mit den beiden rosa Streifen. Vielleicht war das ja der Anfang allen Übels. Am falschen Ende gespart. Zwei rosa Streifen und eine Rabenmutter war geboren. Doch ganz genau genommen hatte alles bereits viel früher begonnen.
Ich bekenne, ich bin Kinderhasserin. Unübersehbar und unbelehrbar. Kinder sind kleine schreiende und pissende Monster, die einem die Zeit stehlen und Unsummen von Geld kosten. Und wenn sie dann endlich in ein Alter kommen, in welchem man sich theoretisch mit ihnen unterhalten könnte, tragen sie Hosen mit dem Hintern bis zu den Kniekehlen, leeren die sorgsam zusammen getragene Hausbar während der Dauer eines Kinobesuchs und erklären einen für geistesgestört, wenn man ihnen für die Geburtstagsparty die Benutzung der elterlichen Stereoanlage ausnahmsweise genehmigen will.
„Noch nie was von MP3 gehört, Alte oder was?“ - wird man dann von Sechsjährigen über die multimediale Welt aufgeklärt.
Danke nein.
Doch eines Tages war da dieser immer stärker werdende Wunsch, ebenfalls ein Kind in die Welt zu setzen, der auch nicht durch die Anschaffung eines Goldhamsters unterdrückt werden konnte.
Natürlich würde es keines dieser Ungeheuer werden, sondern ein pflegeleichtes, immer strahlendes hübsches Wesen mit einem IQ von mindestens 180, dessen sehnlichster Wunsch später sein würde, eine Laufbahn als Atomphysiker oder wenigstens als Gehirnchirurg einzu-schlagen.
Und so nahm das Schicksal seinen Lauf.
Als ich einige Monate später mit zahlreichen Freudentränen in den Augen das Sprechzimmer meines Gynäkologen verlasse, stoße ich beinahe mit dem Bauch von Bettina, offensichtlich 30. Woche, zusammen. Als erfahrene Fachfrau sieht sie sofort, was mit mir los ist.
„Also, ich freu mich wirklich wahnsinnig für Dich, Du.
Und wie war die Empfängnis?“ fragt sie mich neugierig aus.
Eine Sekunde zucke ich zusammen, was Bettina, die sich in Schultagen vorgreiflich ihres späteren Sozialpädagogik-studiums nur mit „Also, ich bin die Tina, also weißt du, du ne“ vorgestellt hatte, natürlich nicht entgeht.
„Oh, du Arme, du bist doch nicht etwa ungewollt schwanger geworden? Wie schrecklich. Aber wenn man so ein Empfängnistrauma frühzeitig erkennt, dann kann man meistens noch das Schlimmste verhindern.“
„Nein, nein, ein absolutes Wunschkind“ dementiere ich flugs, aber die Sache mit dem Empfängnistrauma interessiert mich schon.
„Also, wir hatten uns für eine harmonische Empfängnis nach Dr. Dr. Detersen entschieden. Ist am Besten für die pränatale Harmonie und die psychosoziale Entwicklung.“
„Ah ja“, murmle ich und überlege fieberhaft, wie und wann unser Wunschkind gezeugt wurde. Keine Ahnung. Und ob es harmonisch war?
Bislang war ich mir ziemlich sicher gewesen, dass die meisten Kinder auf dieser Welt, mal abgesehen von künstlichen Befruchtungen, durch banalen Sex entstehen. Ob harmonisch oder wild auf dem Küchentisch, die Natur geht ihren Lauf. Es soll da sogar Mütter geben, die sich gar nicht so sicher sind, wer der Kindesvater ist. Aber natürlich nicht in Tinas Kreisen.
„Also Du, entschuldige meine direkte Frage, wie läuft denn eine harmonische Empfängnis so ab?“
„Also Marc-Antonius wurde exakt 22 Stunden vor dem Eisprung nach einer Nachtwanderung auf einem Berggipfel in den Abruzzen empfangen. Bereits Monate zuvor hatte ich meine Ernährung auf eine fett- und eiweißfreie Reduktionsdiät nach Li Pung Chi umgestellt. Zucker oder tierische Fette nehme ich ja schon seit Jahren nicht zu mir. Alkohol habe ich ja noch nie getrunken.“
Ich nicke nur zustimmend.
Und Spaß hast Du auch noch nie gehabt, denke ich mir insgeheim meinen Teil. Bettina ist jedoch kaum noch zu bremsen.
„Die falsche Ernährung vor der Empfängnis ist nachweislich eine der Hauptursachen für das hyperalphabetische Syndrom, eine besondere Form der postpubertären Legasthenie. Und wie in einer finnischen Studie dokumentiert wurde, haben die Mütter der meisten Sexualstraftäter vor ihrer Schwangerschaft überwiegend von zu fetter oder zu eiweißreicher Kost gelebt. Ich kann diese gedankenlosen Rabenmütter nicht verstehen, die einfach nur ihren Spaß haben wollen und sich nicht ansatzweise Gedanken über die Zukunft ihres Kindes
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