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Der Weg in die Verbannung

Der Weg in die Verbannung

Titel: Der Weg in die Verbannung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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die Stimmen im Nebenzimmer achtete sie nicht. Sie mußte sich ganz und gar auf ihre Aufgabe konzentrieren. Ein einziges Mal strich sie eine blonde Locke, die ihr immer wieder in die Stirn hereinfiel, ungeduldig zurück. Ihre Schläfen waren feucht vor Aufregung. Wenn sie auch nur einen einzigen Buchstaben schlecht schrieb, durfte sie nicht in den Zirkus gehen.
    So hatte Tante Betty gesagt. Tante Betty wünschte nicht, daß Cate mit in den Zirkus ging, obgleich Cates Vater es erlaubt hatte. Die Tante würde also die Schönschrift mit strengen Augen prüfen, und wenn sie das geringste auszusetzen fand, mußte das kleine Mädchen auf eine große Freude verzichten. Aber der Vater wollte bald wiederkommen, er war nur in die Stadt gegangen, und vielleicht konnte er Tante Bettys Urteil revidieren, falls es ungerecht ausfiel.
    Punkt! Endlich war es geschafft. Cate betrachtete die Schönschrift und war selbst sehr befriedigt davon. Jetzt hörte sie auch die Bienen summen, die Vögel im Garten singen, die Uhr schlagen und die Stimmen im Nebenzimmer wispern und anschwellen. Tante Betty hatte Besuch von einer alten Freundin. Cate lehnte sich zurück und dachte darüber nach, welches Kleid sie in den Zirkus anziehen würde. Der Vater brachte Karten für Logenplätze, das war sicher. Zwar hatte Vater bei weitem nicht soviel Geld wie Tante Betty. Aber er zeigte nicht gern, daß er ärmer war. Es war auch nicht seine Schuld, gewiß nicht. Schuld waren die Indianer, die Dakota. Diese Räuber und Mörder hatten bei ihrem schrecklichen Aufstand die Farm der Großmutter in Minnesota niedergebrannt, und von der Großmutter selbst hatte der Vater nie mehr etwas erfahren können. Durch den Brand war die Familie ärmer geworden. Das wußte das kleine Mädchen Cate, nicht weil sie sich sonderlich für Geld interessiert hätte, aber weil Tante Betty es ihr täglich erzählte. Tante Betty war die Witwe eines sehr reichen Mühlenbesitzers. Sie hatte die mutterlose Cate bei sich aufgenommen, nachdem die Großmutter, die Cate bis dahin erzogen hatte, bei dem Aufstand umgekommen war. Nach Tante Bettys Meinung war Cate auf der Farm im wilden Westen falsch erzogen worden. Es gab viel besserzumachen.
    Cates Vater war Offizier, und sie hatte ihn in den Jahren des Bürgerkrieges nur selten gesehen. Aber jetzt war er auf Genesungsurlaub bei der Familie, und bald würde er von seinem Gang in die Stadt zurückkommen. Er wollte erlauben, daß Cate mit in die Zirkusvorstellung ging, natürlich in die Nachmittagsvorstellung. Es war Freitag.
    Tante Betty sprach nebenan jetzt sehr laut. »Ach, du nimmst Douglas sogar in die Abendvorstellung mit? Gewiß, er ist ein Junge, das ist etwas ganz anderes! Aber unsere kleine, zarte Cate, die schon solch furchtbare Szenen erlebt hat, die sollte man doch schonen! Ich verstehe den Vater nicht. Gewiß, es ist eine Galavorstellung, doppelte Preise am Abend! Die gute Gesellschaft geht hin, es soll ein renommierter Zirkus sein. Aber diese furchtbare Idee, hier bei uns Sioux auftreten zu lassen, diese Dakota, diese Mörder und Brandstifter Ich zweifle nicht, daß das Volk gerade darum hinläuft. Aber wenn ich an den Schaden denke, der durch den Brand auf der Farm entstanden ist! Cate ist sozusagen eine süße kleine Bettlerin geworden, mein charity-child, verstehst du. Und nun soll man sich diese Menschen ­ was sage ich, Menschen! ­, diese Banditen ansehen, die eine Farm abgebrannt haben. Ich halte es für unausdenkbar und ganz unpädagogisch, und übrigens glaube ich auch nicht, daß Cate ihre Fleißaufgabe schön genug schreiben wird, um eine solche Belohnung zu verdienen ­ ­ ich bitte dich, eine Gala-Galavorstellung mit doppelten Preisen! Mein Neffe ist ein Verschwender, leider, er versteht es nicht, sich seinem Vermögensstande anzupassen. Er wird die Karten bringen …«
    »Ist er jetzt erst danach unterwegs?«
    »Allerdings. Das dürfte ja auch wirklich früh genug sein. Im Vorverkauf!«
    »Die Nachmittagsvorstellung ist längst ausverkauft, Betty. Sie ist auch minderwertig, da geht man nicht hin. Der Raubtierakt wird nur abends gebracht, auch ein paar andere sensationelle Nummern. Jedenfalls kommt nur noch der Abend in Frage.«
    »Dann selbstverständlich ohne Cate.«
    »Das wird Douglas sehr bedauern.«
    »Es tut mir leid, Ann, aber man soll den Kindern auch nicht immer nachgeben. Prinzipien muß man haben. Prinzipien! Nur dann bilden sich Charaktere!«
    Der unfreiwilligen kleinen Lauscherin im Zimmer nebenan

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