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Der Weg in die Verbannung

Der Weg in die Verbannung

Titel: Der Weg in die Verbannung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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sie zu heben.
    »Laß das sein, dummer Junge!« zischte Ellis.
    Der Dompteur hatte die Pistole eingesteckt und den Tiger mit der Nilpferdpeitsche über die Schnauze gehauen. Es war aber zu sehen, daß sich das Tier vom Angriff nicht abbringen ließ.
    »Die Tigra hinter mir weg!« schrie jetzt der Dompteur selbst.
    Harka hob dem Verbot des Inspizienten entgegen die Falltür. Zwei Löwen liefen sofort hinaus. Die Tigerin schien dadurch verwirrt, und auf einmal entschloß sie sich, hinter den beiden herzulaufen. Auch wenn Harka dazu bereit gewesen wäre, er hätte die Tür nicht mehr vor der Tigerin fallen lassen können, da sich die drei Tierkörper eng aneinandergedrückt durchdrängten, während der Dompteur mit Peitschen- und Pistolenknall gegen den aufsässigen Tiger vorging. Endlich gelang es dem Bändiger, auch diesen zurück- und schließlich hinauszutreiben.
    Der Junge ließ die Falltür wieder herunter. Der Dompteur stand keuchend im Käfig und massierte seinen von der Tigerpranke angeschlagenen Arm.
    Ellis wandte sich Harka zu. Der Junge wußte, daß er jetzt einen schweren Tadel, vielleicht eine schwere Strafe zu erwarten hatte, aber er schaute dem Inspizienten ohne jegliche Furcht oder Reue in die Augen. Ellis spielte mit der Reitpeitsche, die er immer bei sich trug.
    »Nach der Vorstellung heute abend meldest du dich bei mir! Bob hat dich verzogen! Dir fehlt weiter nichts als eine feierliche Tracht Prügel!«
    »Nach der Vorstellung heute abend meldet sich niemand mehr bei Ihnen«, sagte Harka leise und ging weg.
    Der Inspizient schaute den Jungen verblüfft an. »Was hat er da noch gequasselt?« fragte er den Dompteur, der jetzt durch die kleine Käfigtür herauskam. Aber er wartete nicht ab, ob der Mann etwas darüber sagen werde, und bemerkte nur: »Heute abend arbeiten Sie vermutlich besser! Ihre Tigergruppe ist auch verpfändet. Wenn wir nicht genügend Einnahmen haben werden … können Sie … na ja, das können Sie sich selbst ausdenken.«
    Der Dompteur setzte sich in eine Loge. Er wartete, bis der Inspizient verschwand und das große Käfiggitter abgebaut war, rauchte verbotenerweise eine Zigarette und ging dann in seinen Wagen.
    Harka suchte seinen Vater und fand ihn zwischen den Wagen im Gespräch mit dem Singenden Pfeil. Die beiden schienen sich ohne Worte noch mehr zu sagen als mit den wenigen Worten, die sie miteinander wechselten. Sie sprachen in der Dakotasprache, und Harka verstand, daß der Singende Pfeil eine Botschaft der Indianergruppe an Mattotaupa ausrichtete. Mattotaupa möge zu den Männern kommen. Der kreischende Manager Lewis sei für eine Stunde weggegangen, um in irgendeiner Spelunke Brandy zu trinken. Er hatte Singenden Pfeil beauftragt, dafür zu sorgen, daß der Inspizient seine Abwesenheit nicht bemerke.
    »Ich komme«, sagte Mattotaupa und zu Harka gewandt: »Kannst du mitkommen? Oder fällt es auf, wenn du nicht zu finden bist?«
    »Es fällt jetzt nicht auf.«
    Die Indianertruppe bewohnte zwei eigene Wagen, die durch eine Absperrung von den übrigen Wohnwagen getrennt waren. Die Stallburschen kümmerten sich nicht darum, wo die beiden Dakota mit dem Jungen zusammen hingingen. Aus der Selbstverständlichkeit, mit der die drei durch die Absperrung gingen, schloß jedermann, daß der Weg für sie befohlen oder mindestens erlaubt worden sei.
    Die Indianertruppe hatte sich samt und sonders in dem einen der beiden Wagen zusammengefunden. Es waren zehn erwachsene Männer, ein Greis, zehn Frauen und Mädchen und fünf Kinder. Eng zusammen gedrängt hockten und standen sie in dem Wagen, dessen Inneres nur einen einzigen Raum bildete. Die Schlafdecken hatten sie ordentlich zusammengelegt und aufgeschichtet. Der Boden war so sauber wie in einem heimatlichen Zelt. Für die Eintretenden blieb ein kleiner freier Platz. Harka schloß die Tür hinter sich.
    »Hier bin ich«, sagte Mattotaupa.
    Der Älteste trat vor. Er schien uralt zu sein. Vielleicht hatte er schon hundert Sommer gesehen. Er war dürr. Seine Gesichtshaut war eingeschrumpft, in tausend Falten und Fältchen gelegt, und wirklich lebendig erschienen nur noch die Augen. Sicher war er noch älter als Hawandschita.
    »Mattotaupa«, sprach er, »sind deine Ohren offen? Ich höre das Rauschen des Mississippi und das Donnern, mit dem seine Wasser über die Felsen stürzen. Es sind noch nicht zehn Sommer und Winter vergangen, seit ich im Kanu auf dem Strom durch die Schlucht dahinjagte. Atmest du die Winde, Mattotaupa? Der Schnee

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