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Der Weg in die Verbannung

Der Weg in die Verbannung

Titel: Der Weg in die Verbannung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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weniger Proben zu machen hatte, schlief er vierzehn Tage lang alle die Stunden hindurch, die er dadurch für sich gewann, und erholte sich von der Überanstrengung. Danach benutzte er die Zeit, um sich bei seinem alten Bekannten, dem Dompteur, sehen zu lassen. Die Raubtiernummer war einige Tage ausgefallen, weil die Tigerin ihren Bändiger am Kopf verletzt hatte. Nun war die Vorführung aber wieder von neuem angekündigt.
    Es war wieder wie damals, als die beiden sich zum erstenmal gesprochen hatten, früh am Morgen. Die Käfige wurden mit Wasser durchspült, und der Dompteur stand dabei. Er trug eine Kappe, so daß man den Verband nicht sah.
    »Na, der junge Lord?« begrüßte er Harka. »Auch mal wieder gnädiger Laune zu einem schlichten Manne?«
    »Probst du heute?«
    »Muß ich wohl. Aber ich traue den Bestien überhaupt nicht mehr, nachdem sie mir einmal wirklich über den Kopf gehauen und mein Blut gerochen haben. Wie geht’s dir? Warum kümmerst du dich eigentlich gar nicht um deine Stammesgenossen? Die sind dir wohl auch nicht mehr fein genug, die armen Schlucker? Bist ja eine eigene Nummer geworden! Und was für eine! Hab’ ich es dir damals nicht gleich gesagt?«
    »Man läßt mich nicht zu den anderen hingehen. Den Vater auch nicht. Die Kinder müssen immer zu mir herauskommen.«
    »Warum denn das? Der Bill ist doch sonst nicht so kleinlich.«
    »Sie haben Angst. Meine Stammesbrüder haben in dem Minnesota-Aufstand vor zwei Sommern mitgekämpft. Jetzt sind sie wie Gefangene.«
    »Aufstand ist ja auch Blödsinn. Als ob meine Tiger aus dem Käfig ausbrechen wollten! Zwecklos.«
    Harka ließ den Dompteur stehen. Er konnte es nicht anhören, daß über das Schicksal seines Volkes in einer solchen Weise gesprochen wurde. So lief er in den Wagen, in den kleinen kajütenartigen Raum, in dem Mattotaupa saß und eine Landkarte studierte. Der Vater hatte sich verändert. Das konnte Harka sehen. Sich selbst sah er nicht. Mattotaupas Augen hatten jenen schwermütigverschlossenen Ausdruck angenommen, wie er dem gefangenen Tier und dem gefangenen Menschen eigen ist. Fast täglich fand ihn Harka jetzt über die Landkarte gebeugt in dem winzigen Raum sitzen.
    Der Junge hockte sich auf den Boden zu Füßen des Vaters. »Es sind ihrer zu viele!« sagte Mattotaupa.
    Harka wußte, wovon der Vater sprach. Sie hatten im Winter zusammen die Städte des Ostens gesehen, und sie ahnten jetzt, wieviel größer die Zahl der weißen Männer war als die der roten.
    »Es sind ihrer zu viele, und sie sind ungerecht«, sagte Mattotaupa. »Die roten Männer müssen kämpfen, sonst wird ihnen alles geraubt, was sie besitzen: Prärie, Berge, Büffel, Nahrung und Leben.«
    Auch in der Stadt und in den engen Wagen hinein, auch in das Zirkuszelt zog die Luft, die nach Frühling zu riechen begann, nach Hochwasser, nach weither kommendem Wind, nach tauenden Wiesen. Die Mustangs verloren schon ihr Winterfell. Harka mußte sie für die Vorstellung striegeln und bürsten. Daheim, bei den Zelten der Bärenbande in der Prärie, brauchte kein Pferd gestriegelt zu werden. Bei seiner ungewohnten Arbeit und in der stillen Zwiesprache mit seinem Büffelpferd haßte der Junge den Zirkus, er haßte das Manegenrund, die Sägespäne, das Zelt, die Menschen, den Geruch, den Lärm. Er spürte, wie traurig der Grauschimmel und der Fuchs waren, hoffnungslos und traurig, weil sie nicht mehr über die Prärie galoppieren und den Büffeljagdruf nicht mehr hören durften. Die kreischende Stimme des Managers, die gehässigen Worte des Inspizienten, das anspruchsvolle Gehabe Bills wirkten auf Harka wie ein Gift, das er schlucken mußte, das er aber lieber ausspeien wollte.
    In dieser Stimmung entzweite er sich auch mit Old Bob. Er sagte ihm eines Tages im Stall, als er die Esel fütterte:
    »Es wird Frühling. Bald nehmen mein Vater und ich Abschied von euch hier.«
    »Wie?« fragte Old Bob und hielt die Hand hinter die Ohrmuschel wie in der Vorstellung, wenn er das Publikum gefragt hatte: »Umdrehn?«
    »Es wird Frühling. Bald nehmen mein Vater und ich Abschied von euch hier.«
    »Du bist verrückt, Harry!«
    Harka gab dem zweiten Esel das Heu. Das war das Tier, mit dem er am Tage seines ersten Zirkusbesuches den Trick entlarvt hatte. Er sagte nichts zu Bobs Bemerkungen, er tat seine Arbeit einfach weiter.
    »Verrückt, habe ich gesagt! Willst du mir nicht wenigstens Antwort geben?«
    »Wie soll ich deine Meinung ändern? Wir werden eben gehen!«
    Bob wurde weiß

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