Der weibliche Weg Gottes
Zeit Abstand von den Begriffen Religion, Glauben und Kirche im christlichen Sinne genommen. Diese Tür war für immer zu, da war ich ganz sicher. Christlichen Pilgern zu begegnen, fand ich eher abschreckend.
Mit der Institution Kirche war ich fertig. Die Legende um den Heiligen Jakobus, dessen Gebeine in der Kathedrale von Santiago de Compostela liegen sollen, war mir unbekannt, interessierte mich auch nicht weiter. Kirchen hatte ich in den letzten dreißig Jahren nur zu Hochzeiten, Kindtaufen und Beerdigungen betreten. Wenn mich zu Beginn jemand gefragt hätte, an was ich glaube, hätte ich vermutlich von einer göttlichen Energie gesprochen, die wohl da sein muss, von der ich aber sonst keine weitere Vorstellung hatte. Von meiner Ahnung über vergangene Leben und von Aufgaben, die wir in diesem Leben zu erfüllen haben, hätte ich schon mehr erzählen können, ebenso vom Buddhismus, mit dem ich kurz vorher Bekanntschaft gemacht hatte. Der Name Maria wäre mir sicher gar nicht eingefallen, dafür hatte ich schon zu lange abgeschlossen mit allem, was diese Religion an Frauengestalten zu bieten hat.
Ich glaubte zu wissen, wohin meine innere Reise auf dem Camino gehen würde, welche Lebensthemen anstanden, um dieses fortwährende „Stirb und Werde“ meines Lebens zu erfüllen, das mich so müde und deprimiert gemacht hatte. Immer wieder geht etwas zu Ende im Leben, weil es sich überlebt hat, nicht mehr sein kann, weil die Zeit abgelaufen ist, weil Dinge geschehen, auf die wir keinen Einfluss haben und an denen wir doch gleichzeitig beteiligt sind. Aber das wird erst klarer, wenn wir einen Schritt aus der Situation machen, in der wir zugleich Zuschauer und Akteure sind. So, wie der Herbst dem Winter weicht, der Frühling dem Sommer, kann sich Neues nur entwickeln, wenn sich gleichzeitig Altes verändert oder geht. Etwas stirbt, damit etwas Neues werden kann.
Immer wieder dieses „Stirb und Werde“, damit es im Leben weitergehen kann. Viele kleine Tode im Laufe unseres Lebens, bis hin zum Großen, Einen, aus dem auch wieder neues Leben entsteht.
Die kleinen Tode im Leben, das Sterben-Lassen auf dem Weg des Lebens, werden oft begleitet von Phasen der Angst, die sich dann ausbreiten, wenn wir nicht loslassen wollen. Das Klammern entsteht aus der Angst vor der ungewissen Zukunft und dem vermeintlichen Glauben, dass genau diese niemals so schön werden könnte, wie es die Vergangenheit vor langer, langer Zeit einmal war. Angst ist nicht wirklich real, wir haben Angst vor..., nehmen etwas vorweg, was vielleicht eintreten wird. Angst nimmt aus dem Malkasten des Lebens die Farbe Schwarz und malt damit auf Teufel komm raus die Zukunft an. Dabei übersehen wir oft, dass die Gegenwart viele helle fröhliche Farben trägt — warum nicht auch die Zukunft? Zum anderen ist uns in solchen Phasen nicht bewusst, dass unsere Fantasie ein Meister im Malen schwarzer Bilder ist — wer sagt, dass die Zukunft so wird? Wenn wir klug sind, halten wir das für Symptome einer Depression, wenn wir uns für klüger halten, nennen wir es realitätsbezogenes Denken.
Angst und Vertrauen gehen Hand in Hand. Je weniger Vertrauen wir zum Leben und zu uns selbst haben, desto größer die Angst. Also halten wir viel zu lange fest an dem, was lange schon gestorben ist: eine Beziehung, eine Freundschaft, eine Hoffnung. Werden starr und eng im Denken und Fühlen, drehen uns immer wieder im Kreis, sind tot, bevor wir sterben, weil wir das, was außen von uns ist, nicht loslassen und damit sterben lassen wollen.
Wenn Bäume Angst hätten vor der Zukunft, gäbe es dann Blüten? Wer gibt Bäumen das Vertrauen, ihre Knospen zu öffnen, die alte Form sterben zu lassen, damit etwas Neues entstehen kann?
Eine Frau, die weiß, was sie will: in Lourdes
Meine Anreise wähle ich über Köln, Straßburg und Lourdes. Warum gerade Lourdes, werde ich gefragt? Eine Sehenswürdigkeit auf dem Weg, die ich mir nicht entgehen lassen will, erkläre ich cool. Welchen Grund sollte es wohl sonst geben? Niemand kommt auf die Idee, nachzuhaken, und so beschäftige ich mich weiter mit meinen Überlegungen zu Rucksackgröße, Gewicht des Inhaltes, dem Buchen von Hotels und Reservieren von Zügen, denke erst darüber nach, als die Reise längst begonnen hat.
Als ich früh am Morgen mein Hotel verlasse, summt der Ort schon wie ein Bienenkorb. Reisebusse verstopfen die Straßen, kommen nicht voran, weil die Bürgersteige die Menschenmassen nicht aufnehmen können und die
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