Der weibliche Weg Gottes
und mich daran erinnern soll, dass dies der Beginn eines neuen Lebensabschnitts ist, mal sehen, vielleicht schicke ich sie auch nach Hause. Jedes zusätzliche Gewicht belastet.
Später, im Museum, lese ich die Geschichte über Marias Erscheinen in Lourdes. Sie soll gesagt haben, dass sie nun eine Kapelle nur für sich haben möchte, und zwar genau hier. Schau an, Maria als Frau, die weiß, was sie will, und sich dafür einsetzt, nicht länger die stille Dulderin. Das gefällt mir. Das habe ich bisher noch nicht mit ihr verbunden. Allerdings antwortet die Erscheinung in Lourdes auf die Frage nach ihrem Namen: „Ich bin die unbefleckte Empfängnis.“ Schlecht, Maria, so kommen wir nicht zusammen. Daran glaube ich nicht, die Sache ist fromme Augenwischerei.
Trotzdem, seitdem ich diese Münze in meiner Tasche habe, beschäftigt mich Maria zunehmend, was nicht sonderlich erstaunlich ist, weil ich beim Schlendern gern beide Hände in den Hosentaschen habe, da ist die Münze in der Hand. So auch als ich in der Nachmittagssonne am Flüsschen Gave flaniere, mich auf einen großen Stein am Ufer setze und mit den Gedanken bei dem bin, was mich wohl erwarten wird. Rings herum Menschen auf Parkbänken, in Gespräche vertieft, Familien mit ihren Kinder, ein Mann spielt mit einem kleinen Jungen Fußball. Ich bin allein, werde es wohl auch bleiben für die nächsten Tage. Und dann noch mal: „Maria, ich habe doch Angst davor, allein in den Pyrenäen zu starten. Aber jetzt ist wohl nichts mehr zu ändern.“
So ein Quatsch, es muss der Ort sein, die Atmosphäre hier. Was habe ich mit dieser Frau zu schaffen. Ich bin evangelisch erzogen, zu Maria habe ich noch nie gebetet. Überhaupt Beten! Wie lange ist das schon vorbei!
God is female
Anfang der 70er Jahre bin ich aus der Kirche ausgetreten. Es schien die logische Konsequenz meines Protestes und meiner Identitätssuche als Frau zu sein. Die sexualfeindliche, moralisierende Haltung bot keine Antwort auf Fragen, verwechselte den erhobenen Zeigefinger mit der Hand, die Halt gibt. Dabei ist doch der Zeigefinger verbunden mit drei anderen Fingern, die auf die eigene Person zeigen. Der Papst hatte gerade seine Enzyklika Humanae Vitae verkündet, in der er Empfängnisverhütung grundsätzlich ablehnt und voreheliche Sexualität weiterhin verdammt. Die evangelische Kirche verhielt sich abwartend und ruhig, also warf ich sie in den gleichen Topf. Den Zugang zur Kirche hatte ich schon Jahre vorher verloren. Keiner, den ich kannte, ging noch in die Kirche. Die großen Veränderungen in der Welt schwappten bis in den kleinen Ort, in dem ich damals lebte und den ich für den langweiligsten der ganzen Welt hielt. Demos waren angesagt, Proteste gegen das Establishment und das Victory-Zeichen stand für Peace. Meine jungen Schwestern innerhalb der Institution Kirche waren still, zumindest drang nichts nach außen. Die älteren zeigten sich weiter fromm und setzten ansonsten ihre ehrenamtliche Arbeit duldsam fort. Gerade das reizte zum Widerstand. Unbezahlte Arbeit wird weniger geachtet — ist eben Frauenarbeit. Fürsorge und Dienst an der Gemeinschaft scheinen veraltete Tugenden zu sein. Hingabe macht schwach und wird ausgenutzt. Unser Mitgefühl galt eher den Menschen in Vietnam, als dem Nächsten an unserer Seite.
Mein politisches Bewusstsein war erwacht: Religion war Rechtfertigung zur Unterdrückung von Frauen und Maria das Symbol dafür. In der evangelischen Kirche wurde Maria für ihre Aufgabe pünktlich zur Weihnachtsgeschichte rausgeholt, blank geputzt, in eine Krippe gestellt, bestaunt. Nach den Feiertagen verschwand sie wieder in der Versenkung. Der evangelische Platz für Maria, natürlich auch für all ihre Geschlechtsgenossinnen, war klar definiert und hieß noch immer: Kinder, Küche, Kirche. Luther wollte sie raushaben aus dem öffentlichen Leben, wo sie ja eh schon kaum vertreten waren. Sie sollten auch nicht mehr die Möglichkeit haben, sich in Klöster zu flüchten. Nach der Heirat hatten sie ihrem Manne zweimal pro Woche zur Verfügung zu stehen, aber bitte freudlos. Dann öffnete er den Priestern ganz offiziell den Schoß der realen Frauen. Die anbetungswürdige Heilige Maria war nicht mehr erforderlich im täglichen Leben. Es gab jetzt genug reale — auch in der Nacht. Maria hatte keine besondere Bedeutung mehr für die evangelische Kirche.
Der Marienkult in den katholischen Kirchen blieb bestehen. Und damit die Projektionsfläche, die Fürbitterin, die Duldsame,
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