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Der weite Weg nach Hause

Der weite Weg nach Hause

Titel: Der weite Weg nach Hause Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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sich in den Schatten eines dieser Bäume, setzte seine Tasche ab, die sich inzwischen schwer anfühlte, und steckte sich eine Zigarette an. Ihm fiel ein, wie er vor vielen, vielen Jahren, als er mit dem Rauchen anfing, entdeckt hatte, dass es den Hunger betäuben konnte. Er hatte es seinem Vater Stefan gegenüber erwähnt, und Stefan hatte erwidert: »Natürlich kann es das. Hast du das etwa noch nicht gewusst? Und es ist viel besser, am Rauchen zu sterben als an Hunger.«
    Lev lehnte sich an den Baum. Es war eine junge Platane. Ihr Schattenmuster auf dem Boden war fein und präzise, als entwürfe die Natur gerade eine Tapete. Stefan war »am Rauchen gestorben« oder an den vielen, vielen Sägemehl-Jahren in der Baryner Mühle, war mit 59 gestorben, bevor Maya geboren wurde, lange bevor Marina krank wurde und bevor in Baryn Schließungsgerüchte kursierten. Und am Ende hatte er mit schwacher Stimme, wie ein Junge im Stimmbruch, nur gesagt: »Das ist ein elender Tod, Lev. Wenn es irgend geht, mach es nicht so wie ich.«
    Plötzlich bekam Lev einen Erstickungsanfall. Er warf die Zigarette weg und trank den letzten Schluck Wodka aus seiner Feldflasche. Dann ließ er sich auf dem Eisenrost nieder, der auf dem Baumteller lag, und schloss die Augen. Der Baum, der seine Wirbelsäule berührte, war tröstlich wie ein vertrauter Stuhl, und sein Kopf sank zur Seite, und er schlief ein. Seine eine Hand ruhte auf der Tasche. Die Wodkaflasche lag auf seinem Schenkel. Ein im Baum nistender Spatz flog über ihm geschäftig ein und aus.
    Lev erwachte, als ihn jemand an der Schulter berührte. Er starrte verwirrt auf ein fleischiges Gesicht unter einem Motorradhelm und auf einen dicken Bauch. Er hatte von einem Kartoffelfeld geträumt und wie er sich in dem riesigen Feld zwischen seinen endlosen Furchen verirrt hatte.
    »Wachen Sie auf. Polizei.«
    Der Atem des Polizisten roch schal, als sei auch er tagelang ohne Pause unterwegs gewesen. Lev versuchte, in seine Jackentasche zu langen, um seinen Pass hervorzuholen, aber eine breite Hand griff nach seinem Handgelenk und packte mit beängstigender Kraft zu.
    »Immer mit der Ruhe! Keine Tricks, wenn ich bitten darf. Und jetzt hoch mit Ihnen!«
    Er zog ihn unsanft auf die Füße, drückte ihn gegen denBaum und stieß ihm dabei mit dem Stiefel gegen den Knöchel, um seine Beine auseinanderzuzwingen.
    Die Wodkaflasche fiel auf die Erde. An der Hüfte des Polizisten machte das Funkgerät plötzlich schreckliche Geräusche, fast als huste ein Sterbender.
    Lev fühlte, wie der Polizist mit der freien Hand seinen Körper abtastete: Arme, Rumpf, Hüften, Lenden, Beine, Knöchel. Er verhielt sich so ruhig wie möglich und protestierte nicht. In irgendeinem entfernten Teil seines Gehirns fragte er sich, ob er wohl verhaftet und wieder nach Hause geschickt würde, und dann dachte er an all die endlosen Kilometer, die er zurücklegen müsste, und an die beschämende Ankunft in Auror, ohne dass er irgendetwas zum Ausgleich für den verursachten Kummer und Aufruhr in der Hand hätte.
    Das Funkgerät hustete erneut, und Lev spürte, wie der eiserne Griff um seinen Arm nachließ. Der Polizist fixierte ihn und stand dabei so dicht vor ihm, dass sein dicker Bauch Levs Gürtelschnalle berührte.
    »Asylant, was?«
    Er sprach das Wort so aus, als ekele es ihn, als würde er am liebsten etwas von dem Essen wieder auswürgen, das seinen Atem sauer gemacht hatte. Und Lev verstand das Wort. Im Yarbler Reisebüro hatte die hilfsbereite junge Frau gesagt: »Denken Sie daran, Sie sind legal, Wirtschaftsimmigranten, keine ›Asylanten‹, wie die Briten diejenigen nennen, die enteignet worden sind. Unser Land gehört jetzt zur EU. Sie haben das Recht, in England zu arbeiten. Sie müssen sich nicht schikanieren lassen.«
    »Ich bin legal«, sagte Lev.
    »Kann ich bitte Ihren Pass sehen.«
    Lev hielt die Arme immer noch über den Kopf, an den Baum gelehnt. Langsam ließ er sie sinken und fasste in seine Tasche und holte seinen Pass heraus, und der Polizist griff ihn sich. Lev sah zu, wie er vom Passfoto zu Levs Gesicht schaute und dann wieder zurück.
    »Alle Milizen sind Arschlöcher«, hatte Rudi einmal gesagt. »Nur dumme Menschen fuchteln gern mit Handschellen und Scheißfunkgeräten herum.«
    »In Ordnung«, sagte der Polizist. »Dann sind Sie also gerade angekommen?«
    »Ja.«
    »Kann ich einen Blick in Ihre Tasche werfen?«
    Der Polizist ging in die Hocke, wobei sein Gürtel knarzte und seine Bauchfalten zu

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