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Der weite Weg nach Hause

Der weite Weg nach Hause

Titel: Der weite Weg nach Hause Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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verwirrt oder verloren fühlten. Lev machte sich auch bewusst, dass deren Reise ein absehbares Ende hatte − ein paar Kilometer flussaufwärts, vorbei am weißen Riesenrad, das sich langsam um seinen allzu fragilen Stängel drehte, dann dorthin zurück, wo sie hergekommen waren −, während seine Reise in England noch kaum begonnen hatte; sie war unendlich, ohne ein benennbares Ende oder Ziel, und doch bekam er schon jetzt, während die Zeit verrann, Kopfschmerzen vor Verwirrung und Angst.
    Hinter Lev liefen ständig Jogger vorbei, und ihr schneller Atem und das Schurren und Knirschen ihrer Turnschuhe klangen wie ein Vorwurf für ihn, der ohne jeden Plan regungslos dastand und seine Zähne in Cola badete, während diese Läufer mit Kraft und Willen hartnäckig das kleine Ziel der Selbstvervollkommnung verfolgten.
    Lev trank die Cola aus und zündete sich eine Zigarette an. Er war sicher, dass sein »Selbst« ebenfalls Vervollkommnung nötig hatte. Seit Längerem schon war er launisch, melancholisch und gereizt. Selbst Maya gegenüber. Tagelang hatte er regungslos auf Inas Veranda gesessen oder in einer alten grauen Hängematte gelegen, geraucht und in den Himmel gestarrt. Wie viele Male hatte er sich geweigert, mit seiner Tochter zu spielen oder ihr beim Lesen zu helfen, hatte alles Ina überlassen? Und er wusste, dass das unfair war. Ina hielt die Familie mit ihrer Schmuckherstellung am Leben. Außerdem kochte sie ihnen das Essen, putzte das Haus, hackte das Gemüsegärtchen und fütterte die Tiere − während Lev dalag und die Wolken betrachtete. Das war mehr als unfair; es war erbärmlich. Aber schließlich hatte er es geschafft, seiner Mutter zu sagen, dass er sich bessern werde. Er würde Englisch lernen und dann nach England auswandern und sie so retten. Binnen zwei Jahren würde er ein erfolgreicher Mann sein. Er würde eine teure Uhr besitzen. Er würde Ina und Maya auf einen Touristendampfer mitnehmen und ihnen die berühmten Gebäude zeigen. Sie würden keinen Touristenführer brauchen, da er, Lev, die Namen von allem, was es in London gab, auswendig wissen würde ...
    Während er sich Vorwürfe wegen seiner Faulheit und seiner Gedankenlosigkeit Ina gegenüber machte, zog er los zu einem Kiosk am Ufer, der Souvenirs und Ansichtskarten verkaufte. Der Kiosk stand im Schatten der Pfeiler einer hohen Brücke, und als Lev aus dem Sonnenlicht trat, wurde ihm plötzlich kalt. Er starrte auf die Wimpel, Spielzeuge, Minimodelle, Becher und Leinenhandtücher und überlegte, was er seiner Mutter kaufen könnte. Der Kioskbesitzer beobachtete ihn träge aus seiner Ecke im Schatten. Lev wusste, dass Ina die Handtücher gefallen würden − das Leinen fühlte sich dick und strapazierfähig an −, doch sie kosteten £ 5.99, deshalb schaute er sich weiter um.
    Langsam drehte er den Postkartenständer, und gehorsamzogen Szenen des Londoner Lebens an ihm vorüber. Dann sah er das, wovon er wusste, dass er es kaufen müsste: eine Grußkarte in Form von Prinzessin Dianas Kopf. Ihr Gesicht lächelte das berühmte, herzbewegende Lächeln, in ihrem blonden Haar saß ein diamantenbesetztes Diadem, und das Blau ihrer Augen war umwerfend und traurig.
    Der Kauf der Diana-Karte erschöpfte Lev. Als er zurück in die Sonne trottete, fühlte er sich erledigt, lahm, am Ende dessen, was er an diesem Tag ertragen konnte. Er musste irgendwo ein Bett finden und sich hinlegen.
    Er traf eine Entscheidung, und er wusste, dass sie leichtsinnig war, aber er fühlte sich unfähig, irgendetwas anderes zu tun: Er winkte einem Taxi. Er war beinah überrascht, als es für ihn hielt. Der Fahrer war klein und alt und hatte strähniges graues Haar. Er wartete geduldig, dass Lev etwas sagte.
    »Bier und Bier, bitte«, sagte Lev.
    »Hä?«, sagte der Taxifahrer.
    »Bitte«, sagte Lev. »Ich bin sehr müde. Können Sie Bier und Bier bringen.«
    Der Taxifahrer kratzte sich am Kopf und verrückte dabei die wenigen alten Strähnen, die er sich über den Schädel gelegt hatte. »So was kenne ich hier in der Gegend nicht. Die einzigen Zuverlässigen, die ich kenne, sind in Earls Court. Ist das okay?«
    »Entschuldigung?« sagte Lev.
    »Earls Court«, sagte der Taxifahrer laut. »Die Gegend um Earls Court Road. In Ordnung?«
    »Gut«, sagte Lev. »Bitte fahren.«
    Er stieg in das Taxi und lehnte sich in dem breiten, bequemen Sitz zurück. Er konnte sehen, wie der Fahrer ihn in seinem Rückspiegel anstarrte: ihn beim Fahren anstarrte. Draußen vor dem

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