Der Widersacher
Schließlich nickte er. Er hatte das Maximum an Dienstjahren bis zu seiner endgültigen Pensionierung beantragt – fünf Jahre, nicht rückwirkend –, aber er würde nehmen, was sie ihm gaben. Viel weiter als über die Highschool hinaus brächte es ihn nicht, aber es war besser als nichts.
»Also, ich freue mich«, fügte Duvall hinzu. »Damit haben Sie noch neununddreißig Monate mehr bei uns.«
Der Ton, in dem sie das sagte, verriet Bosch, dass sie seinen Gesichtsausdruck als Enttäuschung gedeutet hatte.
»Nein«, sagte er deshalb rasch. »Ich freue mich auch. Ich habe nur kurz nachgerechnet, wie weit mich das mit meiner Tochter bringt. Nein, sehr gut. Ich bin wirklich froh darüber.«
»Na dann gut.«
Das war ihre Art, zu sagen, dass die Besprechung zu Ende war. Bosch dankte ihr und verließ das Büro. Als er in den Bereitschaftsraum zurückkehrte, ließ er den Blick über die Schreibtische, Trennwände und Aktenschränke wandern. Er wusste, dass das sein Zuhause war und dass er – vorerst – bleiben konnte.
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2
D ie Einheit Offen-Ungelöst teilte sich das Nutzungsrecht für die zwei Besprechungszimmer im vierten Stock mit allen anderen Einheiten der Robbery-Homicide Division, der RHD . Normalerweise mussten die Detectives eins der Zimmer im Vorfeld reservieren, indem sie sich in einem Klemmbrett eintrugen, das an der Tür hing. Aber so früh an einem Montagmorgen waren beide Räume frei, und Bosch, Chu, Shuler und Dolan beschlagnahmten kurzerhand den kleineren der beiden.
Sie hatten die Mordakte und die kleine Beweismittel-Archivbox des Falls aus dem Jahr 1989 dabei.
»So«, begann Bosch, als alle saßen. »Ihr habt also nichts dagegen, wenn wir diesen Fall übernehmen? Wenn doch, können wir noch mal zu Duvall gehen und ihr sagen, dass ihr ihn unbedingt haben wollt.«
»Nein, schon okay«, sagte Shuler. »Wir sind mit dem Prozess voll ausgelastet, deshalb ist es auf jeden Fall besser so. Es ist unser erster Fall bei der Einheit, und wir wollen ihn unbedingt bis zum Schuldspruch begleiten.«
Bosch nickte und schlug beiläufig die Akte auf. »Könntet ihr uns dann vielleicht kurz sagen, worum es hier geht?«
Shuler nickte seiner Partnerin Dolan zu und gab den Kollegen dann eine Zusammenfassung des Falls aus dem Jahr 1989 . Bosch blätterte währenddessen den Ordner durch.
»Wir haben ein neunzehnjähriges Opfer, Lily Price. Studentin aus Ohio, grundanständiges Mädchen. Sie wurde in Venice auf offener Straße entführt, als sie an einem Sonntagnachmittag vom Strand nach Hause ging. Der Ort der Entführung konnte schon damals auf die Gegend um die Kreuzung von Speedway und Voyage Street eingegrenzt werden. Price wohnte zusammen mit drei anderen Mädchen in der Voyage. Eine ihrer Mitbewohnerinnen war mit ihr am Strand gewesen, die zwei anderen waren in der Wohnung. Sie verschwand irgendwo zwischen diesen beiden Stellen. Sie hat dem anderen Mädchen gesagt, sie wolle nur kurz nach Hause, um dort auf die Toilette zu gehen, ist aber nie dort angekommen.«
»Sie hat ihr Handtuch und einen Walkman am Strand gelassen«, fuhr Shuler fort. »Und ihr Sonnenschutzmittel. Deshalb war klar, dass sie zurückkommen wollte. Ist sie aber nicht. Und laut den Aussagen ihrer beiden Mitbewohnerinnen, die im fraglichen Zeitraum in der Wohnung waren, ist sie auch dort nicht aufgetaucht.«
»Ihre Leiche wurde am nächsten Morgen auf den Felsen unten am Cut gefunden«, führte Dolan weiter aus. »Sie war nackt, und sie war vergewaltigt und anschließend stranguliert worden. Ihre Kleider wurden nie gefunden. Auch der Strick, mit dem sie stranguliert worden war, ist nie aufgetaucht.«
Bosch blätterte durch mehrere Klarsichthüllen mit verblassten Polaroidaufnahmen vom Tatort. Beim Anblick des Opfers konnte er nicht anders, als an seine Tochter zu denken, die mit fünfzehn noch ihr ganzes Leben vor sich hatte. Es hatte Zeiten gegeben, in denen ihn der Anblick solcher Fotos angestachelt und das Feuer in ihm entfacht hatte, das er brauchte, um vollen Einsatz zu bringen. Aber seit Maddie bei ihm lebte, fiel es ihm immer schwerer, sich Opfer anzusehen.
Es hielt ihn jedoch nicht davon ob, das Feuer zu schüren.
»Woher kommt die DNA ?«, fragte er. »Sperma?«
»Nein, entweder hat der Mörder ein Kondom benutzt, oder er hat nicht ejakuliert«, sagte Dolan. »Kein Sperma.«
»Sie stammt von einem kleinen Blutfleck«, sagte Shuler. »Er befand sich am Hals des Opfers, direkt unter dem rechten Ohr. In diesem
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