Rasputins Tochter
E INLEITUNG
Petrograd, Russland
April 1917
Es war nicht klar, wer mich verraten hatte.
Als ich durch die geplünderten Hallen des Winterpalastes geschleift wurde, einen schweigenden bewaffneten Soldaten auf jeder Seite, fragte ich mich, wer mich ausspioniert hatte, wer die Nachricht über meine Rückkehr in die Hauptstadt durchsickern hatte lassen. Wie hatten diese zwei jungen Soldaten gewusst, dass sie in unserer Wohnung in der Gorochawaja nach mir suchen kommen? Wer hatte ihnen befohlen, meine Tür aufzubrechen, mich durch unsere Zimmer zu jagen und mich davonzutragen?
„Lasst mich los!“, schrie ich, nachdem sie mich in der Küche eingeholt hatten. „Ihr könnt das nicht tun!“
Nur einer der Soldaten sprach, der Große, der höchstens ein oder zwei Jahre älter als ich war. Er winkte mit einem unterzeichneten und gestempelten Stück Papier direkt vor meinem Gesicht und brüllte die dunkelsten Worte, die in Russland gesagt werden konnten.
„Auf Befehl der Dreizehnten Sektion!“
Ich verstummte, nicht einfach aus Furcht, sondern weil es nun vollkommen klar war. Es gab kein Entkommen vor der allmächtigen Sonderkommision der Untersuchung für die Ermittlung illegaler Handlungen von Ministern und anderen verantwortlichen Personen des Zarenregimes. Natürlich hatte ich nichts mit Politik zu tun. Aber ich wusste sehr wohl, warum ich für die Dreizehnte von Interesse war, der die ernsthaftesten Revolutionspflichten aufgebürdet wurden, „die Aktivität der Dunklen Mächten ermitteln“.
Zwischen zwei Wachen geschoben wurde ich durch den Palast geführt, der nicht länger glühend und prächtig war, sondern dreckig, verstreut lagen kaputte Möbel, schmutzige Teppiche, zerfetzte Teppiche und zerrissene Porträts. Ich begann zu weinen. Woher war all dieser Hass gekommen? Was für ein Gift hatte unsere Liebe zum Zaren und zum Land getötet, und viel schlimmer, zueinander? Hatten die Zeitungen Recht? Konnte eine Person so viel zerstört haben? War Papa wirklich so allmächtig gewesen?
Meine Augen schossen herum nach Hoffnung - ein vertrautes Gesicht, ein mitfühlendes Lächeln, ein leichtes Entkommen. Stattdessen sah ich nur einen Wirbel des Chaos, Zimmer um Zimmer zerstört durch einen Erdrutsch an Wut. Als ich in eine Galerie mit dunkelroten Wänden geschleppt wurde, blickte ich auf und sah Unmengen an Porträts von Kriegshelden, die auf mich herabstarrten. Schließlich traten die Soldaten zwei prächtige Türen auf und schoben mich in die St. Georgs-Halle, den Hauptthronsaal des Zaren, einschließlich den unseren allerletzten Zaren, Nikolai II.
Aber der silberne Thron stand nicht länger auf dem Podium.
Stattdessen war er zerschlagen worden, in Stücke gehackt und beiseite geworfen, und der königliche Baldachin darüber heruntergerissen. Ebenso war ein rotes Samtpaneel mit dem riesengroßen doppelköpfigen Adler aus der Wand herausgeschnitten worden. In dem Augenblick wusste ich trotz des Chaos dieser Tage, dass diese Revolution ein niederschmetternder Erfolg gewesen war: Es gab kein Zurück, nicht jetzt oder in den kommenden Jahrzehnten oder Jahrhunderten. Die Monarchie war für immer fort aus Russland.
Ohne langsamer zu werden, zogen mich die beiden Soldaten durch den weiten Saal mit seinen Säulen weißen Marmors. Dort am anderen Ende, gleich an der Seite des verwüsteten Podiums, saß ein Mann und las etwas - einen Bericht, nahm ich an. Als wir uns näherten, blickte er hoch und stand auf. Er war in militärischer Tracht gekleidet, obwohl ich seinen Rang nicht erkennen konnte. Je näher wir kamen, umso sicherer war ich, dass ich diesen Mann mit dem lockigen Haar, den schmalen verschwollenen Augen, den dünnen Lippen kannte. Aber wo hatte ich ihn zuvor gesehen?
„Matrjona Grigorewna Rasputina?“, fragte er, seine Augen überall auf mir wie die eines Malers.
Ich konnte erkennen, dass er nach Familienähnlichkeiten suchte. Und natürlich fand er sie, er konnte sie nicht verfehlen, denn ich hatte das lange dunkle Haar meines Vaters und seine scharfen blauen Augen, seine breite Stirn und sein kleines Kinn. Der Mann vor mir machte keinen Versuch, seinen Schock und seine Abscheu zu verhüllen, und unter seinen missbilligenden Augen begann ich zu zittern.
Obwohl ich am Rande war, wieder zu weinen, versuchte ich mich stolz zu halten. Hier in der Hauptstadt war ich mit einem viel weniger provinziellen Namen bekannt.
„Sie dürfen mich Maria nennen.“
„Alter siebzehn?“
„Achtzehn.“
Er
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