Der Winter tut den Fischen gut (German Edition)
das Haupterkennungsmerkmal eines Menschen ist, würde sie sagen, würde sie jemand fragen, warum. Aber Maria kann ihr Gesicht nicht verbergen, sie muss den Mann ansehen. Worauf wartet er, denkt sie, und dann: Nein, er ist es nicht. Was ich gesagt hätte, wenn er es gewesen wäre. Wenn er gefragt hätte, Frau Beerenberger, warum kommen Sie nicht mehr zu uns. Haben Sie Arbeit gefunden, Sie wissen, dass Sie sich melden müssen, Sie wissen, dass Ihre Bezüge eingestellt werden, wenn Sie unentschuldigt Ihren Kontrolltermin versäumen. Frau Beerenberger, hier, ich gebe Ihnen einen Termin, bitte kommen Sie nächste Woche. Nein, das würde er nicht sagen, denkt Maria und schlägt die Beine übereinander. Was ist los mit Ihnen, warum kommen Sie nicht mehr. Nein, das würde er nicht fragen. Es ist ihm egal, ob ich komme oder nicht. Er würde mich nicht erkennen, er wüsste meinen Namen nicht. Eine weniger, würde er vielleicht denken, eine weniger, die uns auf der Tasche liegt.
Maria schaut auf die Uhr. Fünfzehn Minuten noch, denkt sie und schiebt den Ärmel wieder über das Handgelenk. Man muss den Ansturm erwarten können, sagte Herr Willert. Es ist wie mit dem Wetter: Es gibt kein schlechtes Wetter, nur schlechte Kleidung. Falsch gekleidet ist jedes Wetter schlecht. Er sagte: Was wollte ich Ihnen eben erklären – richtig, man muss den Ansturm erwarten können. Wenn man vor einem Sturm, wenn man vor einem Unwetter eine regenbeständige Windjacke aus Goretex übergezogen hat, kann es noch so blasen und schütten, es wird einem nichts geschehen. Atmen Sie durch, richten Sie Ihre Haare, trinken Sie einen Schluck Wasser, aber alles erst, wenn die Stücke an ihrem Platz sind, gerade liegen, Ecke auf Ecke, ordentlich. Dann sind Sie für den Ansturm gewappnet. Der Sturm kam aus der anderen Richtung, denkt Maria jetzt, als sie auf der Parkbank sitzt und den Tauben zusieht. Der Sturm kam aus der anderen Richtung, und er, er wusste es. Maria steckt die Hände in die Manteltaschen, in der linken findet sie ein Taschentuch, das sie in ihrer Hand knetet. Maria verwendet Taschentücher mehrmals, so lange, bis sie löchrig werden. Sie faltet sie nach dem Schnäuzen an ihren Enden zusammen, zuvor schaut sie kurz in die Mitte, aber das schnell und unauffällig. Maria mag Taschentücher mit Mentholgeruch, auch wenn sie ihren Geruch verlieren, wenn sie eine Weile im Mantel getragen werden. Als eine alte Frau mit ihrem Boxer vorbeigeht, nimmt Maria die Hände aus den Taschen und schaut weiter geradeaus. Maria und die alte Frau grüßen einander nicht, obwohl die Frau jeden Tag vor Maria stehend wartet, während der Hund gegen das Vogelhaus neben der Bank uriniert. Im Winter trägt die Frau einen braunen Pelzmantel, der den gleichen Farbton hat wie das Fell des Hundes. Die Schultern der Frau sind breit, ihr Gesicht ist zart. Erwin, sagt die Frau, wenn sie vor Maria steht, beeil dich. Erwin schnüffelt dann am Pfosten des Vogelhauses, dreht sich zwei Mal im Kreis, geht vor, geht zurück, hebt sein Bein, dreht sich einmal im Kreis, stoppt an derselben Stelle wie zuvor, hebt sein Bein erneut und markiert gegen den Pfosten. Wenn Erwin zurückkommt, gehen die beiden weiter. Maria schaut auf den Boden vor dem Vogelhaus und dann wieder weg.
Es ist kurz nach zwölf, als sich Maria etwas aufrechter hinsetzt, ein Mobiltelefon an ihr Ohr hält und beschäftigt wirkt. Sie sieht sie kommen, die Männer in ihren schwarzen und dunkelblauen Anzügen, dann und wann eine Frau unter ihnen. Sie kommen in Gruppen, in Linien, einige lachen, einige schauen böse, manche gehen abseits und telefonieren. Alle gehen sie schnell, Maria muss sich konzentrieren, um erfolgreich zu sein, sie schaut auf den Asphalt vor sich, als sich die erste Gruppe nähert, der Asphalt ist gefleckt von Kaugummiresten. Maria nickt, sie sagt laut, es ist alles in Ordnung, sie klemmt das Mobiltelefon zwischen Schulter und Kopf und holt einen Kalender aus ihrer Handtasche. Während Maria wartet, kehren die Frau und Erwin zurück. Ausnahmsweise, sagt die Frau und lässt Erwin ein zweites Mal zum Vogelhaus. Maria ärgert sich, und während sie sich ärgert, zieht die erste Gruppe vorbei in Richtung Italiener am Eck, nur ein junger Mann wird kurz langsam, bleibt bei der Frau im Pelzmantel stehen. Frau Huber, wie geht es Ihnen, fragt er, wie geht es Erwin und Rambo. Die Frau sieht den jungen Mann im Anzug lange an, dann antwortet sie, gut, es geht uns gut, Rambo schläft zu Hause auf der
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