Der Wohlfahrtskonzern
das … ach, die technische Seite dürfte Sie nicht interessieren. Jedenfalls, sie wirkt beschleunigend.« Er strahlte wissenschaftliches Interesse aus. »Wir haben aber auch schon damit experimentiert, Gliedmaßen zu bestrahlen, die nicht abgetrennt waren. Es hat sonderbarerweise genauso funktioniert. Es bildeten sich neue Gliedmaßen – obwohl die alten noch vorhanden waren! Das ist der Grund dafür, daß der Salamander auf dem Foto neun Beine hat, wenn man das halbfertige neben dem Schwanz mitzählt. Sieht ganz schön verrückt aus, das kleine Viech, hm?«
Defoe räusperte sich. »Ich möchte nur darauf hinweisen, Signore, daß die Standardbehandlung bei Tumoren Röntgenbestrahlung ist.«
Zorchis Augen flammten, Angst und Wut kämpften in ihm. »Aber Ihr könnt doch kein Versuchskaninchen aus mir machen! Ich bin Policeninhaber!« rief er schrill.
Defoe sagte freundlich und milde: »Das hat die Natur getan, Signor Zorchi, nicht wir.«
Zorchis Augen rollten nach oben und schlossen sich. Einen Augenblick lang dachte ich, er sei in Ohnmacht gefallen. Ich sprang nach vorn, um ihn aufzufangen, damit sein beinloser Körper nicht auf den Boden krachte. Aber er war nicht bewußtlos. Halblaut und krank vor Furcht murmelte er: »Um der Liebe Christi willen, Defoe! Bitte, bitte, ich flehe Sie an! Bitte, machen Sie das nicht!«
Das war zuviel für mich. Zitternd vor Wut sagte ich: »Mr. Defoe, das ist unfair! Sie können von diesem Mann nicht erwarten, daß er sich einer experimentellen Behandlung unterzieht, die ein Monster aus ihm machen könnte! Ich verlange, daß Sie die Angelegenheit nochmals überprüfen!«
Defoe warf den Kopf zurück. »Auf was, Thomas?« knarrte er.
»Nein!« sagte ich entschlossen. »Er hat niemanden hier, der ihn berät. Ich werde das übernehmen. Hören Sie mir zu, Zorchi! Sie haben den üblichen Behandlungsantrag unterschrieben, so besehen hat er völlig recht – da sind Sie festgelegt. Aber Sie müssen diese Behandlung nicht akzeptieren! Jeder Versicherte hat das Recht, eine Behandlung zu verweigern, wenn sie neu und unerprobt ist, ganz egal, wie die Umstände sind! Sie brauchen sich doch einfach nur damit einverstanden zu erklären, in die Ge … in die Klinik zu gehen und dann dort solange in der Suspendierung bleiben, bis Ihr Zustand gefahrlos geheilt werden kann. Tun Sie’s, Mann! Lassen Sie nicht zu, daß man ein Monstrum aus Ihnen macht – entscheiden Sie sich für die Suspendierung! Was haben Sie noch zu verlieren?«
Es war eine jammervolle und mitleiderregende Szene. Nie habe ich jemanden so zusammenbrechen sehen wie Zorchi, als ihm klar wurde, wie knapp er der Versuchskaninchenfalle entgangen war, die Defoe ihm gestellt hatte. Zorchi unterzeichnete hastig und mir seinen Dank zuflüsternd, die Einverständniserklärung, während ich ihn, so schnell ich konnte, dort zurückließ; Defoe folgte mir. Im Vorzimmer kamen wir wieder an Zorchis Sekretär vorbei, dem Dr. Lawton gerade die Situation erklärte; der Mann war wie gelähmt und kaum in der Lage, das Zeugenformular zu unterschreiben, auf das Defoe bestanden hatte. Ich kannte das Formular gut – ich hatte kurz davor gestanden, eines für Marianna zu unterschreiben, als sie sich im letzten Moment gegen die Gewölbe und für die experimentelle Therapie entschieden hatte, die dann fehlgeschlagen war …
Draußen in der Halle hielt Defoe an und stellte sich vor mich hin. Ich machte mich auf meinen größten und letzten Anschiß gefaßt.
Aber ich wollte kaum meinen Augen trauen: Das große, versteinerte Gesicht verzog sich zu einem Lächeln. »Thomas«, sagte er, »das war meisterhaft. Ich hätte es selbst nicht besser machen können.«
6
Wir gingen wieder durch den riesigen zentralen Wartesaal der Klinik. Er hätte voll sein sollen, war es aber nicht. Hunderte von Angehörigen der Suspendierten hätten sich dort aufhalten sollen, umherquirlend und nach Auskünften fragend. Ich wußte, daß immer noch ein ständiger Strom von Suspendierten von den anliegenden Krankenhäusern hereinkam. Tatsächlich waren aber kaum mehr als ein Dutzend Personen zu sehen, und ein einziger Angestellter prüfte ihre Formulare und beantwortete ihre Fragen.
Es war einfach zu ruhig. Defoe empfand dies anscheinend genauso, denn ich sah, wie er die Stirn runzelte.
Jetzt, als ich einige Augenblicke zum Atemholen kam, wurde mir klar, daß ich soeben einen Meister seines Fachs bei der Arbeit gesehen hatte. Es war wie aus dem Lehrbuch – ich hatte
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