0875 - Die Rückkehr des Jägers
Vor sechs Monaten
»Was soll das heißen, es geht nicht?«
»Es geht einfach nicht.« Raoul sah aus wie ein begossener Pudel, hatte er doch in den letzten Minuten seinem Künstlernamen John Long nicht gerade Ehre gemacht. »Vielleicht liegt es ja an der Atmosphäre hier. Bei dem ganzen Rumgebrülle kann man ja nicht in Stimmung kommen«, fügte er leise hinzu.
Das war der Punkt, an dem Jean Fournier endgültig ausrastete. Der Regisseur mit den wirr nach allen Seiten abstehenden und doch stets perfekt gestylt wirkenden, blonden Haaren besaß nicht nur das Aussehen, sondern auch das Temperament eines Rockstars. Und er war der Held der populärsten Horrorshow gewesen, die Frankreich je gesehen hatte. Schlimm genug, dass er heute Sexfilme drehen musste, um sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Jetzt erwiesen sich seine teuer eingekauften »Stars« auch noch als Nieten.
»Rumgebrülle?«, bellte Jean. »Willst du wissen, wie es ist, wenn ich wirklich rumbrülle? Ich zahle dir nicht fünfhundert Euro pro Tag, damit du Karten spielst. Schmeiß dir ne verdammte Viagra ein, und dann ab auf die Matte!«
»Das geht nicht«, flüsterte Raoul. »Ich bin allergisch.«
»Na wunderbar. Soll ich das etwa auch noch selbst machen? Du!« Jean deutete auf den Tonassistenten, der dem Streit verstört zusah. Serge war ein kräftiger Bursche, hatte zwar nicht allzu viel im Kopf, sah aber ganz passabel aus.
»Ich?«
»Ja, du. Du bist gerade befördert worden. Zieh dich aus!«
»Hey, das ist meine Rolle«, protestierte Raoul.
»War«, korrigierte Jean. »Abgang. Und zwar pronto!«
Er hatte keine Lust, sich länger mit diesem Versager zu beschäftigen. Fluchend sammelte Raoul seine herumliegenden Kleidungsstücke auf und zog ab. Doch Jean war noch nicht besänftigt.
Wütend funkelte er Brigitte an, die in lasziver Pose vor ihm auf einem Sarg hockte. Die blonde Hauptdarstellerin hatte die Szene mit breitem Grinsen beobachtet. Dass sie splitterfasernackt war, störte sie dabei offenbar nicht im Geringsten.
»Ich habe dir doch gesagt, der Typ ist ein Schlappschwanz.«
»Halt den Mund!«, fauchte Jean. »Den brauchst du noch. Können wir jetzt endlich?«
»Sicher, wenn unser Freund hier mit seinem besten Stück genauso gut umgehen kann wie mit dem Mikro.«
Entnervt ließ sich Jean auf seinen Regiestuhl sinken. Er zündete sich einen Zigarillo an und ließ den Blick über das Set schweifen. Die Crew hatte in der alten Lagerhalle, die sie als Studio benutzten, eine düstere Schlosskulisse aufgebaut, die an klassische Horrorfilme erinnerte. Särge, Skelette und dicke Spinnweben inklusive. Nur dass die »Toten« sich in diesen Särgen nicht zur Ruhe betteten, sondern höchst irdischen Vergnügungen nachgingen.
»Vampires suck« hieß das bahnbrechende Opus, das sie gerade abkurbelten. Jean hielt die ganze Idee für lächerlich, aber die windigen Geschäftsleute, die den Film produzierten, hatten darauf bestanden. Schließlich wollten sie Jeans Ruf als Horror-Star - oder das, was davon übrig geblieben war - möglichst gewinnbringend für ihre Publicity ausschlachten.
Brigitte schob sich ihr falsches-Vampirgebiss in den Mund und lächelte Serge auffordernd an. »Dann zeig mal, was du kannst, Tiger!«
Der Tonassistent war so nervös, dass er sich fast hinlegte, als er seine Hose runterzog. Doch zumindest war er voll einsatzfähig, wie unschwer zu erkennen war.
»Okay, Action!«
Das Paar wollte gerade loslegen, als André, der Regieassistent, neben dem Regisseur auftauchte und sich nervös räusperte.
»Äh, Jean, da will dich jemand sprechen…«
»Jetzt? Er soll sich verpissen. Ich muss arbeiten.«
»Es ist Paul Gautard.«
Jean hätte sich beinahe am Rauch seines Zigarillos verschluckt. Ungläubig drehte er sich um. Im Eingangsbereich der Halle standen zwei Muskelmänner, denen das Wort Leibwächter förmlich auf die Stirn geschrieben stand. Sie flankierten einen zerbrechlich wirkenden Mann im Rollstuhl. So weit Jean wusste, war Paul Gautard höchstens Mitte fünfzig, aber sein ausgezehrtes, faltiges Gesicht ließ ihn ungleich älter erscheinen. Doch die stechenden Augen verrieten einen Mann von größter Willensstärke.
»Können wir jetzt endlich anfangen?«, fragte Brigitte. »Ich muss nachher noch zu einem Gang Bang.«
»Halt die Klappe«, murmelte Jean. Der Film war ihm mit einem Mal völlig egal. Ihn beschäftigte etwas ganz anderes. Was wollte einer der reichsten Männer der Welt von ihm?
***
»Ihre Karriere
Weitere Kostenlose Bücher