Der Wohlfahrtskonzern
Erklärung darüber zu gönnen, wo sie gewesen war oder was sie gemacht hatte. Sie begrüßte mich und verschwand wieder, diesmal nur einige Stunden. Sie kam zurück und sagte: »Ich bin jetzt erst einmal mit allem durch. Wie hat dir unser kleiner Unterschlupf bis jetzt gefallen?«
»Ich vereinsame hier langsam.«
»Vereinsamen?« Ihre braunen Augen waren weit geöffnet und blickten vollkommen ernst. »Ich hab gedacht, es wäre genau andersherum, Tom. Bei so vielen von uns auf so engem Raum, wie kannst du da einsam sein?«
Ich nahm ihre Hand. »Jetzt bin ich nicht mehr einsam«, sagte ich ihr. In einer Ecke der Gemeinschaftskantine fanden wir einen Platz zum Sitzen. Um uns herum summte und schwirrte das Leben der Untergrundbewegung. Wie ich bereits erwähnte, ähnelte alles hier sehr einem Zweigbüro der Gesellschaft; die Arbeit in dieser geheimen Sektion schien hauptsächlich in der Sammlung und Registrierung von Berichten über Aktivitäten auf der Oberfläche zu bestehen. Rena und mir schenkte aber niemand viel Aufmerksamkeit.
Worüber sprachen wir? Über dasselbe wie alle Verliebten: über uns selbst, über alles und nichts. Das einzige, worüber wir nicht sprachen, waren meine Grundanschauungen in bezug auf die Gesellschaft. Ich war noch zu verwirrt und unsicher, um darüber sprechen zu können, und Rena war zu feinfühlig, um das Gespräch darauf zu bringen. Denn ich hatte der Gesellschaft einen Treueeid geschworen, und ich hatte ihn nicht gehalten.
Selbst damals war es mir immer noch unmöglich, mir eine Welt vorzustellen, in der die Gesellschaft nicht existierte. Was die Gesellschaft von sich behauptete, traf zu: Bevor es die Gesellschaft gab, hatten die Menschen wie Tiere gelebt. Die Gefahr von Krieg und Krankheit hatte beständig über ihnen geschwebt. Kein Plan konnte gemacht, keine Hoffnung gehegt werden, ohne daß ein blinder Zufall sie nicht zunichte machen konnte.
Und doch, waren die Menschen heute besser dran? Ich konnte die Wahrheiten, die man mir enthüllt hatte, nicht bezweifeln. Die Gesellschaft ließ Kriege zu – ich hatte es gesehen. Die Gesellschaft ließ Krankheit und Leiden zu – meine eigene Frau war gestorben, um ein Punkt in den Kurvenblättern der Gesellschaft zu werden.
Irgendwo gab es eine Antwort, aber ich konnte sie nicht finden. Ich war sicher, sie lag nicht in Slovetskis brennendem Haß auf alles, was die Gesellschaft repräsentierte. Aber sie lag genausowenig in dem kritiklosen Glauben, den ich einmal gepflegt hatte.
Aber es stellte sich heraus, daß meine Betrachtungen kaum noch von Bedeutung waren, die Würfel waren gefallen. Benedetto tauchte am Eingang der Kantine auf und blickte sich suchend um. Er sah uns und kam mit ernstem Gesicht herüber. »Es tut mir leid, Mr. Wills«, sagte er. »Ich habe eben Radio Neapel gehört. Es kam gerade durch: eine Beschreibung von Ihnen und die Anordnung, Sie festzusetzen. Man beschuldigt Sie … des Mordes!«
Ich starrte ihn mit halboffenem Mund und ungläubig an. »Mord! Aber das ist nicht wahr! Ich habe bestimmt nie …«
Benedetto legte mir eine Hand auf die Schulter.
»Natürlich nicht, Mr. Wills. Das ist ganz zweifellos eine Erfindung der Gesellschaft. Aber es ist ebenso zweifellos eine Erfindung, die Sie das Leben kosten kann, wenn Sie entdeckt werden.«
Ich schluckte. »W-wen soll ich ermordet haben?« fragte ich.
Benedetto zuckte mit den Achseln. »Ich weiß nicht, wer er ist. Der Name, den sie durchgaben, war Elio Barletteria.«
Das war der Suspendierte, dessen Platz Zorchi eingenommen hatte. Bestürzt lehnte ich mich zurück. Es stimmte immerhin, daß ich eine Beziehung zu diesem Mann hatte. Aber … ihn getötet? War es möglich, so fragte ich mich, daß ich nur durch das Vertauschen der Plastiksäcke sein Leben gefährdet hatte? Ich bezweifelte es, aber trotzdem …
Ich fragte Benedetto. Er zog die Stirn in Falten. »Es ist … möglich«, erkannte er schließlich an. »Wir wissen nicht viel über die Suspendierten, Mr. Wills. Darauf hat die Gesellschaft peinlich geachtet. Meine Meinung ist, daß – und es ist nur eine Meinung, fürchte ich – Sie mit dem Tod dieses Barletteria nichts zu tun haben, falls er tot ist. Nur …« – er hob die Schultern – »was macht es für einen Unterschied? Wenn die Gesellschaft Sie einen Mörder nennt, müssen Sie auch einer sein, denn die Gesellschaft hat immer recht. Oder?«
Wir beließen es dabei, aber ich war ganz und gar nicht guten Mutes. Die Kantine hatte sich
Weitere Kostenlose Bücher