SWEET & SEXY: Hände auf meiner Haut
Die Orgie
Zwo, vier, fünf, zähle ich und staune über das Knäuel verrenkter Leiber auf dem Matratzenlager. Die Eins nimmt die Zwei von hinten, während der Kopf der Zwei zwischen den Schenkeln von Drei verschwindet. Von Drei ist nicht allzu viel zu erkennen, denn Viers Po verbirgt ihr Gesicht. Während Drei Viers stoßendes Gemächt im Mund hat, droht Vier nach vorn zu weg zu kippen. Doch Vier findet Halt bei der stehenden Fünf. Sie nimmt seine Hände und legt sie sich lächelnd auf die Brüste. Vier hält seine Balance erstaunlich elegant und beginnt, sie zu streicheln. Fünf stützt vier, beobachtet die vierköpfige Schlange unter sich und vergräbt ihre Finger in sich selbst. Ich wage es kaum, die Gruppe als Ganzes zu betrachten. Das ist etwas zu viel für mich.
Ich habe mir Mut angetrunken, und es gelingt mir nur schwerlich, die unprofessionelle Aufregung in Zaum zu halten. Was würde mein Vater wohl dazu sagen?
Wahre Distanz zum Thema, Ava. Das ist oberstes journalistisches Gebot. Sei eine scharfe Beobachterin mit heißem Herzen und kühlem Kopf. Lass dich niemals ins Geschehen involvieren.
Im Moment ist es ganz und gar umgekehrt. Mein Herz ist kühl, dafür ist mir die Hitze zu Kopf gestiegen. Ich erwäge kurz, es Fünf gleich zu tun, auf die Damentoilette zurück zu gehen und meinem Distanzproblem mit einem Handjob zu Leibe zu rücken.
Mein Name ist Ava Gutmann Gonzales, und ich bin die Tochter eines der renommiertesten Auslandskorrespondenten der deutschen Nachkriegsgeschichte. Niemals wird Hans-Peter Gutmann von dieser Sache erfahren. Mein alter Herr hat gerade erst schlucken müssen, dass ich drei Monate zu alt für das Volontariat beim Öffentlich-Rechtlichen bin. Um dort einen Einstiegsjob zu bekommen, hätte man unter 30 sein müssen, und deshalb bin ich bei einem dieser Privatsender gelandet, die Papa despektierlich Affenscheißfernsehen nennt.
Ich habe an der Sorbonne, in Tokio und Washington studiert. Ich habe in internationalen Zeitungs- und Onlineredaktionen, Rundfunkstationen und Nachrichtenagenturen hospitiert. Und nun stehe ich als beschämte Reporterin mit zusammengepressten Schenkeln in einem Berliner Hinterhofclub und muss undercover über eine vögelnde Meute berichten. Und das kam so.
***
„Ist euch eigentlich klar, wie gravierend sich die Szene dieser Stadt verändert hat?“, fragte Hendrik von Bassewitz und ließ seinen Blick bedeutungsschwanger über die zwölf Anwesenden schweifen. Der Chefredakteur des Senders nutzte jede Gelegenheit, um schlaue Hauptstadtsprüche zu klopfen. Aber am liebsten tat er es in der montäglichen Redaktionsrunde – nachdem er das Wochenende auf Spesen durchgesumpft und in der Stadt Neuigkeiten aufgeschnappt hatte.
„Ist es nicht das Wesen einer Szene, sich in Veränderung zu befinden?“, fragte Ralph nach einer ungemütlichen Phase des Schweigens. Von ihm wusste ich nicht viel mehr, als dass er in seiner Freizeit französische Lyrik schrieb und sich geschwollen ausdrückte. Außerdem machte er gute Beiträge – sagen wir ganz passable Affenscheißbeiträge – und verabscheute unseren Chefredakteur.
Der sah seinen Widersacher nicht an, aber der Ton seiner angehobenen Stimme verhieß nichts Gutes. Da wären wir wieder: King Kong gegen Godzilla, japanischer Originaltitel: Gojira tai Mekagojira . Ich habe ein unbestechliches cineastisches Gedächtnis.
Godzilla von Bassewitz erhob sich und stapfte im Konferenzraum hin und her, das Ebenbild einer breithüftigen japanischen Riesenechse mit Cellulite.
„Ich weiß, wir haben publizierte Literaten in unserer Runde, promovierte Philosophen, sozialpolitische Vollchecker und investigative Asse sowieso. Ich möchte mein brillant geschultes Personal nicht mit einer weiteren Quotendiskussion belästigen, denn die Zahlen vom Wochenende haben Sie ja bereits per E-Mail gekriegt. Ich verrate Ihnen kein Geheimnis, wenn ich sage, sie sind mittelmäßig. Vielleicht ist es Ihnen sogar aufgefallen – sollten Sie so altmodisch sein und Ihre Mails noch lesen.“
Bassewitz atmete tief ein und kratzte sich männlich.
„Ich muss Sie an dieser Stelle an das Durchschnittsalter unserer Zuschauer erinnern, die am Samstag und Sonntag von Ihren altbackenen Beiträgen offensichtlich abgetörnt waren. Wir machen hier Fernsehen für multi-interessierte, junge Großstadtmenschen, die geschmacksbildend für die gesamte Republik sind. Wer tümelndes Provinzfernsehen machen möchte, muss nach München ziehen. Junge Menschen
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