Der Wolf
dem kleinen Haus stattgefunden hatte. Nur der Wolf war sich des Unterschieds bewusst. Es gehörte zu seinem Fachgebiet.
Er lachte verhalten.
»Ihr habt einen Fehler gemacht«, sagte er und hielt seine verklebten Handgelenke hoch. »Einen Kardinalfehler, könnte man sagen.«
»Was für einen Fehler?«, platzte Jordan heraus.
Der Böse Wolf grinste.
»Ihr habt keine Ahnung vom Töten, hab ich recht?«
Die drei Roten antworteten nicht. Hatte er auch nicht erwartet.
»Bei einem Kampf, wenn es um Selbstverteidigung geht«, dozierte der Böse Wolf bedächtig in leisem, gleichmütigem Ton, der seine Kennerschaft unterstrich, »kriegt man fast alles hin. Es hängt davon ab, wie verzweifelt man ist. Egal ob du mit dem Messer zustichst, die Kanone abdrückst oder jemandem den Schädel einschlägst. Im Nahkampf rettest du deine Haut. In der Hitze des Gefechts ist es eine einfache Sache, sich zu wehren. Im Kampfgetümmel, wenn Blut fließt, wächst jeder über sich hinaus.«
Er lehnte sich ein wenig zurück.
»Nur dass wir jetzt nicht mehr kämpfen. Das Gefecht ist vorbei. Ihr habt gewonnen. Aber nicht wirklich, denn wenn ihr diese Nacht überleben wollt, dann müsst ihr töten. Kaltblütig töten. Klingt ein bisschen abgedroschen, nicht wahr? Aber ihr wisst alle, was ich meine. Bildet sich eine von euch ein, sie hätte diese besondere Gabe? Ein Kampf ist eine Sache, Mord eine andere.«
Die drei Roten schwiegen.
Der Böse Wolf entspannte sich auf der Couch. Die Situation schien ihm keine Angst zu machen, ihn nicht einmal besonders zu irritieren.
»Eine Mutter kann töten, um ihre Kinder zu verteidigen. Ein Mann vielleicht, wenn es darum geht, sein Heim und seine Familie zu beschützen. Ein Soldat zögert nicht, seine Kameraden zu verteidigen. Aber der Fall hier liegt wohl ein bisschen anders, oder? Wer von euch hält sich für einen Mörder?«
Er brach in Gelächter aus. Karen war sprachlos, als habe ihr die Logik des Wolfs einen Schlag ins Gesicht versetzt. Jordan merkte, dass ihr Atem stoßweise, fast schmerzhaft kam. Aber wir haben gewonnen!, sagte sie sich. In diesem Moment der Unsicherheit drängte Sarah energisch an den anderen beiden Roten vorbei.
»Du glaubst, wir könnten nicht töten?«, brüllte sie. Sie war mit wenigen Schritten am Sofa und drückte dem Bösen Wolf die Mündung an die Stirn. Seine Frau wimmerte, doch er hatte nur ein Grinsen für sie übrig.
»Ich lass mich gern eines Besseren belehren«, forderte er sie heraus. Er sah Rote Zwei eindringlich in die Augen, dem Risiko, das er einging, zum Trotz.
Sarah zog mit dem Daumen den Hahn zurück, legte den Finger an den Abzug. Mit einem langen, wütenden Stöhnen ließ sie los.
Sie trat zurück.
»Nicht so leicht, hab ich recht?«, bekräftigte der Böse Wolf.
Augenblicklich stieß sie ihm die Mündung wieder an den Kopf. »Ich kann, wenn ich will«, sagte sie.
»Wenn du es könntest, hättest du’s schon getan«, erwiderte er.
Rote Zwei und der Wolf zitterten ein wenig.
Karen und Jordan waren sicher, dass sie abdrücken würde, und zugleich, dass sie es nicht tun würde. Sie schwankten zwischen entgegengesetzten Gewissheiten.
Karen meldete sich zu Wort. »Sarah, lass mal.«
Eine Sekunde verstrich, dann eine zweite, und Sarah ließ langsam den Hahn ihres Revolvers los. Dann drehte sie sich um.
»Seht ihr? Ihr glaubt, ihr hättet heute Nacht etwas erreicht. Habt ihr aber nicht. Ihr habt keine Ahnung vom Töten, ich bin auf dem Gebiet Experte. Das heißt, ihr seid und bleibt die Verlierer, und ich bin und bleibe der Sieger.«
Wieder lächelte er. »Soll ich euch verraten, was jeder weiß, der sich wirklich mit Mord auskennt?«
Die drei Roten antworteten nicht, doch der Böse Wolf sprach trotzdem weiter.
»Es gibt keinen wackeren Jägersmann, der mit dem Messer zur Tür hereinspaziert. Es gibt auch keine liebe Großmama, die sich im Schrank versteckt, um herauszukommen und Rotkäppchen in die Arme zu schließen. Die Geschichte kann nur ein einziges Ende nehmen, das ursprüngliche Ende.«
Es herrschte Schweigen.
»Ihr konntet euch niemals retten. Nicht, nachdem ich angefangen hatte.«
Der Wolf machte es sich wieder auf dem Sofa bequem. Er grinste.
»Ihr seid alle intelligent«, bescheinigte der Wolf den Roten. Fast war sein Ton freundlich und von einer Vertrautheit wie bei einer Plauderei unter Freunden, die sich unverhofft wiedersehen. »Deshalb bin ich überhaupt auf euch verfallen. Und ihr seid intelligent genug, um zu wissen,
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