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Der Wolf

Der Wolf

Titel: Der Wolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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schreiben.
    Er hämmerte energisch in die Computertastatur und stellte sich dabei vor, er säße am Schlagzeug einer Rockband – der Herzschlag der Musik.
    Auch wenn ein plötzlicher, willkürlicher Mord, bei dem man einem geeigneten Opfer rein zufällig über den Weg läuft und dem Impuls folgt, durchaus etwas Bewundernswertes hat, bringen diese Taten letztlich keine wahre Befriedigung. Sie werden lediglich zu einer Art Sprungbrett, wecken den Wunsch nach mehr, werden irgendwann zum Zwang, so dass man aus Mordlust nicht mehr klar denken und planerisch vorgehen kann: der sichere Weg, sich zu verraten. Solche Taten sind unbeholfen, plump, und früher oder später klopft ein Polizist mit gezückter Waffe an deine Tür. Der beste, befriedigendste Mord ist eine Verbindung von intensiver, gründlicher Recherche, Hingabe und schließlich auch Begierde. Die Droge der Wahl ist hier die Kontrolle über die Situation. Denke weiter als die anderen, dränge deine Gegner ins Abseits, sei findiger und besser als sie – und du begehst einen in jeder Hinsicht außergewöhnlichen Mord. Du wirst deine finstersten Bedürfnisse zufriedenstellen.
    Genau dies habe ich mit meinen drei Rotkäppchen vor.
    An dem Abend, als er die Briefe aufgab, kaufte er sich an einem kleinen Kiosk in der Nähe der Fußgängerbrücke, die an der 42 . Straße in den Bahnhof Grand Central führt, ein altbackenes Croissant mit undefinierbarem Käse sowie einen Plastikbecher bitteren, brühend heißen Kaffee und bezahlte in bar. Er hatte sich eine dunkle Lederaktentasche an einem Schulterriemen umgehängt und trug einen schiefergrauen Wollmantel über seinem dunkelblauen Anzug. Sein graumeliertes, dunkles Haar hatte er aschblond getönt. Ergänzt wurde die Verkleidung durch eine dunkel umrandete Brille sowie einen falschen Lippen- und Kinnbart, beide aus einem Laden, der die Film- und Theaterindustrie mit Kostümen und Masken versorgte. Zusätzlich hatte er sich eine Schirmmütze aus Tweed tief in die Stirn gezogen. Er war davon überzeugt, dass er genug getan hatte, um jeder Gesichterkennungssoftware ein Schnippchen zu schlagen, auch wenn er ohnehin nicht damit rechnen musste, dass irgendein rühriger Ermittler darauf zurückgreifen würde.
    Der Kaffee stieg ihm wohlig warm in die Nase, und er begab sich in die riesige Gewölbehalle des Bahnhofs. Die mattblaue Decke reflektierte gelbliches Licht, und er tauchte in die stetige Geräuschkulisse ein. Das Dröhnen ein- und ausfahrender Züge wirkte auf ihn wie Musikberieselung. Das Klicken seiner Schuhe auf dem blank gescheuerten Boden erinnerte ihn an einen Stepptänzer oder auch an eine Marschkolonne im präzisen Gleichschritt.
    Es war der Höhepunkt der Rushhour, als er an seinem Croissant kaute und sich unter die Heerscharen der Berufspendler mischte, die mehr oder weniger alle so aussahen wie er. Auf seinem Weg zu einem Briefkasten direkt vor dem Bahnsteigeingang zu einem Pendlerzug nach New Jersey kam er an zwei gelangweilten New Yorker Polizisten vorbei. In diesem Moment hätte er sich am liebsten zu ihnen umgedreht und gerufen: »Ich bin ein Mörder!«, nur um ihre Reaktion zu sehen, doch er wusste sich zu beherrschen.
Wenn die wüssten, wie nahe sie gerade einem Kapitalverbrecher waren …
Bei der Vorstellung musste er unwillkürlich grinsen, denn diese Art von Ironie war Teil des ganzen Theaters. Er nahm sich vor, am Abend diese Überlegungen und Gefühle in seine Prosa aufzunehmen.
    Er trug OP -Latexhandschuhe – es amüsierte ihn, dass offenbar keiner der beiden Cops dieses verräterische Detail bemerkt hatte.
Wahrscheinlich haben sie mich einfach für einen Paranoiden mit Bakterienphobie gehalten.
Er blieb vor einem Abfalleimer stehen, um die Reste seines Croissants und Kaffees zu entsorgen. In einer selbstverständlichen Bewegung, die er zu Hause eingeübt hatte, zog er die Tasche von der Schulter und holte drei Umschläge heraus, die er in der Hand hielt, während er sich vom Strom der Pendler zum Briefkasten treiben ließ. Mit gesenktem Kopf – er rechnete mit Kameras, die gegen potentielle Terroristen an uneinsehbaren Stellen installiert sein mochten – schob er die drei Briefe schnell durch den schmalen Schlitz, über dem ein Schild davor warnte, gefährliche Materialien einzuwerfen.
    Auch darüber hätte er lauthals lachen können. Unter
gefährlich
verstand die Post der Vereinigten Staaten Drogen, Gift oder Flüssigkeiten, die zur Herstellung von Bomben dienten. Dabei wusste er, dass

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