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Der Zauber der ersten Seite - Cossé, L: Zauber der ersten Seite - Au bon roman

Titel: Der Zauber der ersten Seite - Cossé, L: Zauber der ersten Seite - Au bon roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurence Cossé
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sagen und dann ganz deutlich Minna Rosa und Grün. Das verdutzte ihn. Doch Madame Huon, der gegenüber er sein Erstaunen äußerte, begriff sofort, dass es sich um eine von Paul Néons Besucherinnen und die Farbe des Lidschattens oder der Unterwäsche der betreffenden Dame handeln musste.
    Doktor Clair diagnostizierte eine Lungenentzündung. Besorgt erkundigte er sich, ob Paul allein lebe. Es sei ihm nicht ganz wohl dabei, ihn ohne jede Obhut zurückzulassen. Aber ihn deshalb gleich ins Krankenhaus einzuweisen …
    Niemand wusste, ob Néon Familienangehörige oder sonstige Nahestehende hatte – denn auch das ist nicht mehr wie früher. Niemand wusste, wen man hätte benachrichtigen können. Niemand erwähnte die jungen Frauen, die abwechselnd auftauchten, obwohl alle an sie dachten. Der Arzt entschied sich für die häusliche Pflege, was, wie er erklärte, bedeutete, dass Vera Polonowska, die Krankenschwester aus Villard, ihn morgens und abends aufsuchen werde. Und was ihn angehe, er werde noch am selben Tag abends nach ihm schauen und danach jeden Tag wiederkommen.
    Marcellin erbot sich, die Nacht in einem Sessel am Krankenlager zu verbringen, doch da stöhnte der Kranke: »Kann man mich denn nicht in Frieden lassen?« – Und jetzt bedeutete »man« mehr als: »Sie alle hier«, mehr als das medizinische Personal, mehr als die Frauen, »man« umfasste mehr oder weniger die ganze Menschheit.
    Clair versuchte Néon zu erklären, er habe nicht das Recht, ihn unbeaufsichtigt zurückzulassen. Die medizinisch-ethische und juristische Argumentation schien jedoch nicht zu verfangen, denn danach hörten die Nachbarn, die sich in eine Ecke des Raums zurückgezogen hatten, wie Dr. Clair drohte: »Dann muss ich Sie ins Krankenhaus einweisen.« Dieses Argument wirkte, und während der Arzt für den stillen Rückzug des dörflichen Tragödien-Chors sorgte, teilte er auch das Verhandlungsergebnis mit: Néon akzeptiere medizinisch notwendigen, aber sonst keinerlei Besuch.
    Vera Polonowska war eine blonde, stolze Schönheit. Als sie am Samstag darauf um zehn Uhr aus Néons Haus trat, stand sie plötzlich vor einer grünäugigen Brünetten, deren Gesichtsausdruck sich bei ihrem Anblick schlagartig veränderte.
    »Die Nacht war gut«, sagte Vera.
    »Wie schön, das zu wissen«, erwiderte die Dunkelhaarige wütend. »Nur keine Rücksicht.«
    »Sie wissen vermutlich nicht, dass Monsieur Néon krank ist. Ich bin die Krankenschwester, die morgens und abends nach ihm sieht. Stehen Sie ihm nahe?«
    »Das ist eine Frage, die ich leider weder mit Ja noch mit Nein beantworten kann. Ich stelle sie mir seit anderthalb Jahren, und glauben Sie mir, ich wüsste selbst gern, wie es darum steht. Was ist denn los mit Paul?«
    »Ich verstehe«, sagte Vera und schob die Antwort auf. »Sie sind weder seine Frau noch seine kleine Schwester noch jemand aus dem Dorf.«
    »Nichts von alledem«, bestätigte die Brünette. »Ich habe eine Nebenrolle in einem Stück gespielt, das er vor zwei Jahren in Vizille inszeniert hat.«
    »Wäre es Ihnen lästig, wenn ich Sie bitten würde, bei Monsieur Néon zu bleiben?«, unterbrach sie Vera, die nun immer klarer sah.
    »Es wäre mein Traum«, sagte die Brünette. »Ich habe nie mehr als zwei oder drei Stunden am Stück mit ihm verbracht. Und nie eine Nacht. Er behauptet, er kann nicht schlafen, wenn er nicht allein ist.«
    »Machen Sie sich keine Illusionen. Er ist nicht gerade in Hochform.«
    »Was hat er denn?«
    »Eine Lungenentzündung und wahrscheinlich noch mehr.«
    »Ist es schlimm?«
    »Gut möglich. Der behandelnde Arzt müsste heute Vormittag noch vorbeikommen. Da haben Sie seine Karte. Und hier meine.«
    »Danke. Ich heiße Suzon Petitbeurre.«
    Suzon blieb bis Sonntagmittag bei Paul. Ein Tag, eine Nacht und ein Vormittag, in einem durch, das hatte sie noch nie erlebt.
    Aber diese etwa dreißig Stunden waren alles andere als ein Spaziergang. Paul war leidend, stumm und furchtbar gelaunt. »Sobald ich wieder auf den Beinen bin, ziehe ich um«, murmelte er am Samstagabend, ohne weitere Erklärungen abzugeben.
    Als Dr. Clair am späten Sonntagvormittag wieder nach Néon sah, begriff er, was sein Patient außer der Lungenentzündung noch hatte. Néon war gelb geworden. Und als der Arzt ihm auf den Bauch drückte, bäumte er sich auf.
    Dr. Clair gab Suzon zu verstehen, dass er mit ihr allein sprechen wollte, außerhalb des Schlafzimmers.
    »Hat Ihr Freund eine Schwäche für Alkohol?«, fragte er sie ohne

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