Der Zauber eines fruehen Morgens
und nach Paris gebracht worden war, dort an ein Bordell verkauft und von fünf Männern vergewaltigt wurde, war ihr klar, dass sie vielleicht jeden, der nach diesen Erfahrungen freundlich zu ihr war, geliebt hätte.
Aber dass Etienne nett zu ihr gewesen war, dass er männlich, einfühlsam und liebevoll war, konnte nicht der einzige Grund dafür sein, dass diese mädchenhaften Träume sie während ihrer ganzen Zeit in New Orleans und auf ihrer Heimreise nach Frankreich nicht losgelassen hatten.
Als er wieder in Erscheinung trat und ihr das Leben rettete, war ihre Unschuld schon lange dahin, und sie wusste mehr über Männer, als jede Frau wissen sollte. Aber auch er musste etwas für sie empfunden haben; warum sonst wäre er zwei Jahre später sofort nach Paris gekommen, als er erfuhr, dass sie verschwunden war?
Während der Zeit ihrer Genesung hatte sie ständig auf eine Liebeserklärung gewartet und gehofft. An der Art, wie er sie ansah, und an der Zärtlichkeit, mit der er sie behandelte, erriet sie, dass er sie liebte. Dennoch nahm er sie nicht in die Arme und gestand ihr nicht seine Liebe, nicht einmal, als sie sich am Gare du Nordverabschiedeten und sie in Tränen ausbrach und keinen Hehl aus ihren Gefühlen machte.
Sie hatte sich nach Kräften bemüht, diesen Abschied aus ihren Gedanken zu verbannen, ebenso wie das Verlangen nach Etienne, das sie noch lange Zeit später empfand, auch dann noch, als sie längst wieder daheim bei Mog war und Jimmy von Heirat redete. Warum hatte er heute herkommen und ihr diesen bestimmten Splitter wieder tief ins Herz treiben müssen?
Sie hatte ihm die Wahrheit gesagt. Jimmy und sie waren sehr glücklich. Er war für sie bester Freund, Liebhaber, Bruder und Ehemann in einem. Sie verfolgten dieselben Ziele, lachten über dieselben Dinge. Jimmy war alles, was sich ein Mädchen erhoffen durfte. Er hatte das Grauen der Vergangenheit ausgelöscht; in seinen Armen erfuhr sie hingebende Zärtlichkeit und auch tiefe Befriedigung, denn er war ein liebevoller und einfühlsamer Liebhaber.
Jimmy war ihre Welt, und sie liebte das Leben mit ihm. Trotzdem wünschte sie, sie hätte Etienne sagen können, wie schön es war, ihn wiederzusehen, wie oft sie in den vergangenen zwei Jahren an ihn gedacht hatte, wie viel sie ihm schuldete.
Aber eine verheiratete Frau konnte so etwas nicht sagen, und genauso wenig konnte sie ihn ermutigen, länger in ihrem Laden zu bleiben. Blackheath war wie ein Dorf, die Leute hier waren engstirnig und neugierig, und viele von ihnen würden sich nur zu gern die Mäuler zerreißen, wenn sie Belle im Gespräch mit einem attraktiven Mann sahen.
Sie fing an, im Geschäft aufzuräumen, indem sie den Ladentisch abstaubte und verirrtes Seidenpapier vom Boden klaubte.
Warum, fragte sie sich unwillkürlich, hatte sie das Gefühl, dass irgendetwas in ihrem Leben fehlte, wenn doch alles so gut lief? Warum las sie in der Zeitung Artikel über die Suffragetten und beneidete sie insgeheim, weil sie den Mut hatten, trotz aller Feindseligkeit, die ihnen entgegengebracht wurde, für die Rechte der Frauen einzutreten? Warum fühlte sie sich von all der Ehrbarkeit ringsum eingeengt? Und, wichtiger noch, warum bescherte ihr Etienne mit seiner Stimme, seinem Aussehen und seinen Lippen auf ihrer Hand immer noch eine Gänsehaut?
Sie schüttelte den Gedanken ab, öffnete die Lade, in der sie die Tageseinnahmen verwahrte, und verstaute das Geld in einem Stoffbeutel, den sie in ihren Pompadour schob. Sie steckte ihren Strohhut mit einer langen Hutnadel in ihrem Haar fest, warf sich ihren Umhang über die Schulter und nahm ihren Schirm aus dem Schirmständer.
In der Tür blieb sie noch einmal stehen, bevor sie das Licht ausschaltete, und dachte an den Tag zurück, an dem sie ihr Geschäft eröffnet hatte. Es war ein kalter Novembertag gewesen, genau zwei Monate nach Mogs und Garths Hochzeit, und Jimmy und sie wollten kurz vor Weihnachten heiraten. An jenem Tag war alles neu und blitzblank gewesen. Jimmy hatte sie mit den kleinen, aber kostspieligen französischen Kandelabern und dem Ladentisch überrascht. Mog hatte die beiden Regency-Stühle entdeckt und mit rosa Samt neu bezogen, und Garths Geschenk bestand darin, die beiden Maler zu bezahlen, die das düstere kleine Geschäftslokal in ein Paradies in Blassrosa und Creme verwandelt hatten.
An diesem ersten Tag verkaufte Belle zweiundzwanzig Hüte, und seither waren Dutzende Kundinnen immer wiedergekommen, um bei ihr zu kaufen. In
Weitere Kostenlose Bücher