Der Zauber ferner Tage
geliebt und jetzt … gerade als …«
»Sag es mir.« Sie hielt sein Gesicht mit beiden Händen. »Was würdest du tun?«
John nahm sie in die Arme und kniff die Augen zusammen. Sie sahen aus wie Überlebende eines Krieges, einer Naturkatastrophe, um sie herum wütete noch das Feuer. Sie spürte seine Anspannung.
»Ich würde ein Haus in Spanien kaufen, das zu einer Frau passt, die tanzt, als wäre der Wind hinter ihr her.« Seine Stimme klang heiser und brüchig, nah an ihrem Ohr. »Ich würde die Wahrheit herausfinden. Wer bin ich? Woher komme ich?« Er hielt sie, als hätte er Angst, dass sie ihm entgleitete, und drückte ihren Kopf an seine Brust. Sie spürte seinen Herzschlag an ihrer Wange. »Und dann würde ich alles aufschreiben, für meine Tochter. Ich würde alles aufschreiben, was ich je über das Leben gelernt habe. Ich würde ihr eine Spur aus Hinweisen hinterlassen.«
»Ach John«, seufzte sie und zwinkerte die Tränen weg.
»Mach das, Libby.« Er wich zurück. »Schreib alles auf. Im Moment mag Emma zu gestresst sein, um sich deine Ratschläge klar und deutlich anzuhören. Aber später wird Zeit dafür sein, und sie wird dich brauchen.«
Liberty zeigte auf das schwarze Lackkästchen, das aus ihrer Tasche herausragte. »Ich werde das Parfümkästchen dafür verwenden.« Sie sah es vor sich, ein Kästchen mit Briefen, die sie auf ihr Lieblingspapier geschrieben hatte, das cremefarbene des Herstellers Smythson. Mit dieser Box würde sie ihrer Tochter die wichtigste Entdeckungsreise ihres Lebens schenken. John griff in seine Brusttasche und reichte ihr seinen alten Montblanc-Füller.
»Schreibe deine Briefe damit.«
»Den kann ich nicht annehmen. Er hat deinem Vater gehört.«
Sie erinnerte sich, wie sie nachts auf dem Futon in ihrer Einzimmerwohnung in der Page Street wach gelegen und John dabei zugesehen hatte, wie er in den stillen Stunden der Dämmerung an seinem Zeichenbrett gesessen hatte. Das Kratzen des Füllers war nicht wegzudenken gewesen. Seither hatte es so viele Wohnungen, so viele Häuser gegeben, aber sie liebte die Erinnerung an dieses eine Zimmer in ihrem alten pinkfarbenen Haus mitten im Herzen von San Francisco immer noch ganz besonders. Sie schloss einen Moment die Augen, und sah John mit seinen langen und dunklen Haaren von damals vor sich, die ihm bis zu den Schultern reichten. Manchmal hatte er vom Zeichenbrett aufgesehen und sie angegrinst, bevor er sich das T-Shirt über den Kopf zog, den Stuhl in den Schatten rollte und barfuß durch das Zimmer zum Bett, zu ihr tapste.
»Ich möchte, dass du den Füller nimmst und ihn dann Em weitergibst.« John legte schützend den Arm um sie, und sie blickten über den Strand, auf den Feuerbogen, der die Nacht erhellte. Umrisse tanzten wie Schatten unter dem Mond. »Wie lange hast du noch? Sechs Monate, ein Jahr?«
»Wenn ich Glück habe.«
»Lass mich bei dir bleiben.«
»Nein, John.« Sie legte den Kopf an seine Schulter. »Ich bin so froh, dass wir uns jetzt getroffen haben. Ich musste dich ein letztes Mal sehen. Ich wollte mich verabschieden …«
Er packte sie an den Schultern. »Sieh mich an.« Er umschloss ihr Gesicht mit beiden Händen. »Das ist kein Abschied. Es darf nicht schon vorbei sein.«
Dann küsste er sie. Sie spürte die Hitze der nahegelegenen Feuerstellen, den Wind, der sich in ihrem Seidentuch verfing, seine starken Arme, die sie festhielten. Ich fühle mich lebendig , dachte sie. Wie kann es sein, dass ich mich so lebendig fühle? Sie verdrängte den Gedanken an die kommenden Monate, an die Krankenhäuser und Medikamente, die sie schrumpfen und vergehen lassen und alles abtöten würden, was jetzt unter den Sternen, dem Mond in ihr sang.
»Ich habe nie aufgehört, dich zu lieben, John.« Sie verschränkte ihre Hände mit seinen und hielt sie sich ans Herz. »Aber ich möchte, dass du nach heute Nacht nach Hause fährst und mit Diana wieder alles in Ordnung bringst …«
»Nein, Libby. Wie könnte ich das, nach allem was passiert ist? Nachdem sie …«
»Du musst an die vielen guten Zeiten denken.«
»Aber unsere Ehe war nie so großartig wie das, was du und ich hatten …«
»Ach, John, wir hätten es nicht zusammen geschafft, nicht wie du und Diana. Wir sind uns zu ähnlich, zu ehrgeizig. Manchmal wird aus zwei Richtigen ein Falsches.« Liberty küsste ihn. »Fahr nach Hause«, riet sie ihm. »Sieh dir die Frau gut an, die dich geliebt, dich versorgt und deine Kinder großgezogen hat. Fahr mit
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