Der Zauber von Avalon 01 - Sieben Sterne und die dunkle Prophezeiung
zurück, ihre Gesichter verrieten, wie erstaunt sie über das Wunder waren. Selbst der kleine Säugling war jetzt still.
Plötzlich begann der Körper des Adlermanns zu glänzen. Seine mächtigen Schwingen verblassten, dann schrumpften sie zu Armen. Die Federn auf seiner Brust schmolzen rasch. Der Adlerjunge schrie vor Überraschung, während die Frau verblüfft die Augen aufriss.
Vor ihnen stand ein Mann. Es war ein sehr alter Mann. Sein wirrer weißer Bart fiel ihm bis über die Leibesmitte; die uralten Augen schienen zugleich zu lachen und zu weinen; die Nase war fast so hakenförmig wie ein Adlerschnabel. Er trug ein langes himmelblaues Gewand mit einem Muster aus Runen, die schimmerten wie Nebel im Morgenlicht. Auf dem Kopf hatte er einen scheußlichen, halb zerdrück ten Hut, dessen Spitze zur Seite hing.
Die Frau rang nach Luft und fuhr sich mit der Hand an den Mund. »Ich kenne dich«, murmelte sie. »Du bist . . .«
Sofort hob der Alte warnend die Hand. »Sag nicht mehr, meine Liebe. Nicht hier.« Die dunklen Augen schauten über den Kamm und betrachteten kurz den rauchenden Schutthaufen – alles, was vom spiralförmigen Felsturm gebliebenwar. »Augen könnten spähen, Ohren könnten lauschen. Selbst jetzt.«
Er beugte sich zu ihr, während er mit einer Hand Bartsträhnen zwirbelte. »Du kennst mich, ja. Und du weißt, dass ich aus gutem Grund den weiten Weg hierher gekommen bin: um ein überaus wertvolles Leben zu retten – nicht nur für mich, sondern für die ganze Welt von Avalon.«
Sein plötzlich besorgter Blick galt jetzt dem Adlerjungen. »Kümmere dich um ihn, wirst du das tun, gute Frau? Beschütze ihn so, wie du deinen Sohn beschützt. Denn er hat in dieser schrecklichen Nacht seine Mutter verloren.«
Der Adlerjunge zuckte bei diesen Worten zusammen. Er zitterte am ganzen Körper, aber er versuchte immer noch aufrecht zu stehen. Sanft legte sie ihm die Hand auf die Schulter. Er schüttelte sie ab ohne sich umzudrehen und die Frau anzuschauen. Der Blick seiner gelb umrandeten Augen war auf den Alten gerichtet.
Der Mann lüftete den hässlichen Hut und kniete sich auf ein Bein. Seine lange Hakennase berührte fast die des Adlerjungen. »Du heißt Scree, nicht wahr?«
Steif nickte der Junge.
»Du bist dazu bestimmt, eine große Rolle in dieser Welt zu spielen, mein Junge. Eine sehr große Rolle. Ich fürchte, ich kann dir keine Hilfe sein. Aber wenigstens das kann ich dir geben.«
Geschickt riss er sich ein einziges weißes Haar aus dem Bart und legte es sich auf die Handfläche, wo es in der Nachtluft zitterte. Dann hielt er den Kopf ein wenig schief – und das Haar veränderte plötzlich die Farbe, es dunkelte zueinem rötlichen Braun. Zugleich verdickte und verlängerte es sich, bis es aussah wie ein Holzstab mit einer knorrigen Spitze.
Und der Stab wuchs weiter. Dicker und länger wurde er direkt vor den Augen des verwunderten Adlerjungen, bis er ein ausgewachsener, knorriger, knotiger Stock war. Merkwürdige eingeschnitzte Runen leuchteten geheimnisvoll. Der Alte betrachtete einen Augenblick den Stab, wobei er ihn langsam in der Hand drehte. Dann klopfte er seufzend auf die knorrige Spitze. Die Runen schimmerten und verschwanden völlig.
»Dein Stab!« Er nahm die kleine Hand des Adlerjungen und legte sie auf das Holz unterhalb des Griffs. »Er hat mir lange Jahre hindurch gut gedient. Und jetzt, hoffe ich, wird er dir dienen.«
Der Adlerjunge bog die Finger um den Griff. Der Alte schaute zu und zog die buschigen weißen Brauen zusammen. »Versprich mir, dass du gut auf diesen Stab Acht gibst. Er ist kostbar – kostbarer, als du dir vorstellen kannst.«
Der Junge nickte.
»Gut! Das Wort eines Adlerjungen ist hundert Zaubersprüche wert.«
Der Junge straffte die Schultern. Er nahm den Stab, wog ihn in der Hand und drückte ihn dann an seine Brust.
Der Alte sah einen Augenblick heiterer aus, dann wurde er wieder ernst. »Bist du zu jung, um von der dunklen Prophezeiung gehört zu haben?«
Der Junge runzelte nur die Stirn.
Der Alte beugte sich noch näher und flüsterte ihm insOhr. Langsam zog der Adlerjunge verblüfft die Augenbrauen hoch. Die Frau verstand nur ein paar abgerissene Sätze: »Für das Kind . . . entsetzliche, entsetzliche Gefahr . . . wenn schließlich der wahre Erbe des Zauberers . . .«
Endlich erhob sich der Alte, sein Gesicht war jetzt tiefernst. Er legte sich eine Hand hinter die Hüfte und richtete seinen knackenden Rücken auf. »Ah, wenn man doch
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