Der Zauber Von Avalon 02 - Im Schatten der Lichtertore
er den Kristall besaß.
Plötzlich bewegte sich das vernarbte Gesicht – und sprach. Die heisere Stimme des Hexers quoll aus der Luft. »Und was liegt vor uns, mein Herr?«
Mein Herr?
überlegte Tamwyn.
Wen konnte er meinen?
Etwas bewegte sich hinter dem Bild von Weißhand. Es war schwer zu erkennen, kaum mehr als eine dünne Rauchfahne. Oder eine Art Gasschlange. Dann redete diese rauchige Erscheinung mit einer Stimme, die über den Himmel krachte wie ein schwarzer Blitzschlag. Und in diesem Momentwusste Tamwyn genau, wer das war. Denn obwohl er die Stimme nie zuvor gehört hatte, erkannte er sie augenblicklich.
Rhita Gawr. Der böse Kriegsherr aus der Anderswelt, in die er vor langer Zeit vom großen Geist Dagda und vom Zauberer Merlin verbannt worden war.
Rhita Gawr – hier in Avalon!
»Mein größter Triumph«, grollte die Stimme, »ist nur noch wenige Wochen entfernt! Zuerst wird Avalon fallen, diese elende Zwischenwelt. Und dann folgen weitere Welten.«
Kulwych rieb sich die Hände und nickte heftig. »Und das Zeichen, mein Herr? Was wird das Zeichen sein?«
Die schlangenähnliche Gestalt wand sich langsam. »Wenn das große Pferd stirbt, wird der Sturm kommen.« Ein hartes, zischendes Gelächter erfüllte die Luft. »Oh ja, mein Kleiner, er wird kommen.«
Am Himmel blitzte es wieder so hell, dass Tamwyn und Elli mehrere Sekunden brauchten, bevor sie etwas sehen konnten. Als sie schließlich hinaufschauten, hatten sie keine weiteren Visionen. Nur Sterne zeigten sich. Und ein dunkles, klaffendes Loch dort, wo einst eine bestimmte Konstellation gefunkelt hatte.
Tamwyn dachte an diese seltsamen, schattenhaften Gestalten, die aus dem Himmel ohne Sterne, aus der Leere gekommen waren. Er war überzeugt, dass diese Wesen bald in Wirklichkeit auftreten würden. Was waren sie? Was bedeuteten sie? Und was im Namen Avalons hatte Rhita Gawr damit gemeint, dass er seinen Triumph schon in wenigenWochen erleben würde – und mit den Worten
wenn das große Pferd stirbt
?
Tamwyn schnitt eine Grimasse. Diese Vision hatte mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet!
Er wandte sich Elli zu und sah in ihrem Gesicht die gleiche Unsicherheit, außerdem den Zorn und die Kränkung, die er selbst verursacht hatte. Ihm war, als würde sein Herz in der Brust plötzlich schwach werden.
»Hör zu«, fing er an. »Ich kann es erklären.«
Sie schüttelte den Kopf, so dass die Locken in alle Richtungen flogen. »Erklär gar nichts. Geh einfach weg.«
»Aber Elli
. . .
«
Ihre Augen schienen zu brennen. »
Geh weg.«
Er bückte sich nach seinem Stab und dem Bündel. Es musste noch einige Zeit vergehen, bevor er hoffen konnte, mit ihr zu sprechen. Alles, was er ihr sagen wollte, musste warten. Genau wie sein Plan, um eine Vision über seinen verschwundenen Vater zu bitten. Wie lange, das konnte er noch nicht einmal raten.
Er drehte sich um und stapfte durch den Schnee davon, beunruhigt durch die Dämonen, die am Himmel erschienen waren – und noch mehr durch die bösen Geister, die er in sich erkannt hatte.
2
Magisches Holz
D er große kräftige Mann stand allein auf einem Bergkamm. Wind blies ihm die langen grauen Locken ins Gesicht, das nur schwach vom flackernden Licht seiner Fackel erhellt wurde. Dunkle Nebelschwaden kreisten um ihn und hüllten ihn in Schatten.
Aber Tamwyn erkannte ihn sofort. »Vater!«, rief er, obwohl er nicht genau feststellen konnte, ob der Mann auf demselben Berg wie er oder irgendwo in weiter Ferne war. »Vater, ich bin hier.«
Der Mann schrak zusammen und riss die kohlschwarzen Augen auf, die im Fackellicht glänzten. Und in diesem Moment wusste Tamwyn ohne jeden Zweifel, dass dieser Mann tatsächlich sein Vater war.
Langsam drehte der Mann sich nach der Stimme um. Sein wettergegerbtes Gesicht schien genau das Richtige für Krystallus Eopia zu sein – für den Reisenden zu Avalons entlegensten Bereichen, Sohn des Zauberers Merlin und der Hirschfrau Hallia. Er sah zugleich überrascht und verwirrt aus, als könnte er nicht sagen, ob die gerade gehörte Stimme sehr nah oder sehr entfernt sei. Aber er schien zu spüren, dass sie seinem Sohn gehörte – seinem einzigenKind, das er nie hatte kennen lernen können. Die erste Andeutung eines Lächelns zeichnete sich auf seinem Gesicht ab.
»Ich bin es«, rief Tamwyn, plötzlich war ihm die Kehle eng. »Ich bin es, dein
. . .
«
In diesem Augenblick taumelte Krystallus. Er griff sich an die Brust, als hätte ihn ein Pfeil durchbohrt, und sank
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