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Der Zauberberg

Der Zauberberg

Titel: Der Zauberberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Mutterstelle vertrat.
    Hans Castorp wuchs auf bei miserablem Wetter, in Wind und Wasserdunst, wuchs auf im gelben Gummimantel, wenn man so sagen darf, und fühlte sich im ganzen recht munter {50} dabei. Ein bißchen blutarm war er ja wohl von Anfang an, das sagte auch Dr. Heidekind und ließ ihm täglich zum dritten Frühstück, nach der Schule, ein gutes Glas Porter geben, – ein gehaltvolles Getränk, wie man weiß, dem Dr. Heidekind blutbildende Wirkung zuschrieb und das jedenfalls Hans Castorps Lebensgeister auf eine ihm schätzenswerte Weise besänftigte, seiner Neigung, zu »dösen«, wie sein Onkel Tienappel sich ausdrückte, nämlich mit schlaffem Munde und ohne einen festen Gedanken ins Leere zu träumen, wohltuend Vorschub leistete. Sonst aber war er gesund und richtig, ein brauchbarer Tennisspieler und Ruderer, wenn er auch lieber, statt selber die Riemen zu handhaben, an Sommerabenden bei Musik und einem guten Getränk auf der Terrasse des Uhlenhorster Fährhauses saß und die beleuchteten Boote betrachtete, zwischen denen Schwäne auf dem bunt spiegelnden Wasser dahinzogen; und wenn man ihn sprechen hörte: gelassen, verständig, ein bißchen hohl und eintönig, mit einem Anflug von Platt, ja, wenn man ihn auch nur ansah in seiner blonden Korrektheit, mit seinem gut geschnittenen, irgendwie altertümlich geprägten Kopf, in dem ein ererbter und unbewußter Dünkel sich in Gestalt einer gewissen trockenen Schläfrigkeit äußerte, so konnte kein Mensch bezweifeln, daß dieser Hans Castorp ein unverfälschtes und rechtschaffenes Erzeugnis hiesigen Bodens und glänzend an seinem Platze war, – er selbst hätte es, wenn er sich daraufhin auch nur geprüft hätte, nicht einen Augenblick lang bezweifelt.
    Die Atmosphäre der großen Meerstadt, diese feuchte Atmosphäre aus Weltkrämertum und Wohlleben, die seiner Väter Lebensluft gewesen war, er atmete sie mit tiefem Einverständnis, mit Selbstverständlichkeit und gutem Behagen. Die Ausdünstungen von Wasser, Kohlen und Teer, die scharfen Gerüche gehäufter Kolonialwaren in der Nase, sah er an den Hafenkais ungeheure Dampfdrehkrane die Ruhe, Intelligenz und {51} Riesenkraft dienender Elefanten nachahmen, indem sie Tonnengewichte von Säcken, Ballen, Kisten, Fässern und Ballons aus den Bäuchen ruhender Seeschiffe in Eisenbahnwagen und Schuppen löschten. Er sah die Kaufmannschaft in gelben Gummimänteln, wie er selbst einen trug, um Mittag zur Börse strömen, woselbst es scharf herging, seines Wissens, und jemand ganz leicht Veranlassung bekommen konnte, in aller Eile Einladungen zu einem großen Diner zu verschicken, um seinen Kredit zu fristen. Er sah (und hier lag ja später sein besonderes Interessengebiet) das Gewimmel der Werften, sah die Mammutleiber gedockter Asien- und Afrikafahrer, turmhoch, Kiel und Propeller entblößt, von baumdicken Streben gestützt, in ihrer monströsen Unbehilflichkeit auf dem Trockenen, bedeckt mit zwerghaften Heeren scheuernder, hämmernder, tünchender Arbeiter; sah auf den überdachten Hellings, von rauchigem Nebel umsponnen, die Spantenskelette entstehender Schiffe ragen und Ingenieure, Konstruktionszeichnung und Lenztafel zur Hand, den Bauleuten ihre Weisungen geben, – vertraute Gesichte dies alles für Hans Castorp von Jugend auf und lauter Empfindungen gemütlich-heimatlicher Zugehörigkeit in ihm erweckend, Empfindungen, die ihren Höhepunkt etwa in jener Lebenslage fanden, wenn er Sonntagvormittags mit James Tienappel oder seinem Vetter Ziemßen – Joachim Ziemßen – im Alsterpavillon warme Rundstücke mit Rauchfleisch nebst einem Glase alten Portweins frühstückte, und sich danach, mit Hingebung an seiner Zigarre ziehend, im Stuhle zurücklehnte. Denn namentlich darin war er echt, daß er gern gut lebte, ja, seines dünnblütig verfeinerten Äußern ungeachtet, innig und fest, wie ein schwelgerischer Säugling an der Mutterbrust, an des Lebens derben Genüssen hing.
    Bequem und nicht ohne Würde trug er auf seinen Schultern die hohe Zivilisation, welche die herrschende Oberschicht der handeltreibenden Stadtdemokratie ihren Kindern vererbt. Er {52} war so gut gebadet wie ein Baby und ließ sich von jenem Schneider kleiden, der das Vertrauen der jungen Leute seiner Sphäre besaß. Der kleine, sorgfältig gezeichnete Wäscheschatz, den die englischen Züge seines Schrankes bargen, ward von Schalleen aufs beste betreut; noch als Hans Castorp auswärts studierte, schickte er ihn regelmäßig zur

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