Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Zauberberg

Der Zauberberg

Titel: Der Zauberberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
Vom Netzwerk:
Behrens, der lang und bunt, gefolgt von dem schwarzbleichen Assistenten, in den Saal gerudert kam, um mit seiner rhetorischen Morgenfrage »Fein geschlafen?« flüchtig darin herumzustreichen, – erfuhr er, sagen wir, vom Hofrate nicht nur, daß es eine glanzvolle Bieridee von ihm gewesen sei, dem vereinsamten Neveu hier oben ein bißchen Gesellschaft zu leisten, sondern daß er auch im ureigensten Interesse sehr recht daran tue, da er ja offenbar total anämisch sei. – Anämisch, er, Tienappel? – Na, und ob! sagte Behrens und zog ihm mit dem Zeigefinger ein unteres Augenlid herunter. Hochgradig! sagte er. Der Herr Onkel werde direkt schlau handeln, wenn er es sich für ein paar Wochen hier auf seinem Balkon der Länge nach bequem mache und überhaupt in allen Stücken dem Vorbilde seines Neffen nachstrebe. In seinem Zustande könne man gar nichts Aufgeweckteres tun, als mal eine Weile so zu leben, wie bei leichter tuberculosis pulmonum, die übrigens immer vorhanden sei. – »Gewiß, selbstvers-tändlich!« sagte der Konsul rasch und blickte dem hochnackig Davonrudernden noch eine Weile eifrig-höflich geöffneten Mundes nach, während sein Neffe gelassen und abgebrüht neben ihm stand. Dann traten sie den Lustwandel zur Bank an der Wasserrinne an, der das Gegebene war, und danach hielt James Tienappel seine erste Liegestunde, angeleitet von Hans Castorp, der ihm zum mitgebrachten Plaid die eine seiner Kamelhaardecken lieh – er selbst hatte in Anbetracht des schönen Herbstwetters an einer reichlich genug – und ihn in der überlieferten Kunst des Sicheinwickelns Griff für Griff getreulich unterwies, – ja, er löste, nachdem er den Konsul schon zur Mumie gerundet und geglättet, alles noch einmal auf, um ihn auf eigene Hand und nur unter verbessernd einspringender Beihilfe die feststehende Prozedur wiederholen zu lassen, und lehrte ihn, den Leinenschirm am Stuhl zu befestigen und gegen die Sonne zu richten.
    {655} Der Konsul witzelte. Noch war der Geist des Flachlandes stark in ihm, und er machte sich lustig über das, was er da erlernte, wie er sich schon über den abgemessenen Lustwandel nach dem Frühstück lustig gemacht hatte. Aber als er das ruhig verständnislose Lächeln sah, mit dem der Neffe seinen Scherzen begegnete und worin die ganze geschlossene Selbstgewißheit der Sittensphäre sich malte, da wurde ihm angst, er fürchtete für seine Geschäftsenergie und beschloß hastig, das entscheidende Gespräch mit dem Hofrat in Sachen seines Neffen sofort, baldmöglichst, schon diesen Nachmittag herbeizuführen, solange er noch Eigengeist, Kräfte von unten zuzusetzen hatte; denn er fühlte, daß diese schwanden, daß der Geist des Ortes mit seiner Wohlerzogenheit einen gefährlichen Feindesbund gegen sie bildete.
    Ferner fühlte er, daß ganz unnötigerweise der Hofrat ihm empfohlen hatte, hier oben seiner Anämie wegen sich den Gebräuchen der Kranken anzuschließen: das ergab sich von selbst, es bestand, wie es schien, gar keine andere Denkbarkeit, und wie weit, vermöge Hans Castorps Ruhe und unberührbarer Selbstsicherheit, dies eben nur so schien, wie weit in der Tat und unbedingt genommen nichts anderes möglich und denkbar war, das war für einen wohlerzogenen Menschen von Anfang an nicht zu unterscheiden. Nichts konnte einleuchtender sein, als daß nach der ersten Liegekur das ausgiebige zweite Frühstück erfolgte, aus welchem der Lustwandel nach »Platz« hinunter überzeugend sich ergab, – und danach wickelte Hans Castorp seinen Onkel wieder ein. Er wickelte ihn ein, das war das Wort. Und in der Herbstsonne, auf einem Stuhl, dessen Bequemlichkeit völlig unbestreitbar, ja höchst rühmenswert war, ließ er ihn liegen, wie er selber lag, bis der erschütternde Gong zu einem Mittagessen im Kreise der Patientenschaft rief, das sich als erstklassig, tip-top und dermaßen ausgiebig erwies, daß der sich anschließende General-Liegedienst mehr als äu {656} ßerer Brauch, daß er innere Notwendigkeit war und aus persönlichster Überzeugung geübt wurde. So ging es fort bis zum gewaltigen Souper und zur Abendgeselligkeit im Salon mit den optischen Scherzinstrumenten, – es gab gegen eine Tagesordnung, die sich mit so milder Selbstverständlichkeit aufdrängte, ganz einfach nichts zu erinnern, und auch dann hätte sie keine Gelegenheit zu Einwänden geboten, wenn nicht des Konsuls kritische Fähigkeiten durch ein Befinden herabgesetzt gewesen wären, das er nicht geradezu

Weitere Kostenlose Bücher