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Der Zauberberg

Der Zauberberg

Titel: Der Zauberberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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auf dich.«
    »Voyons, mon ami. Ich will mich weiter nicht aufhalten über die Form, in der Sie mit närrischer Hartnäckigkeit zu mir reden. Sie werden dessen schon müde werden, und schließlich bin ich nicht zimperlich, keine entrüstete Bürgersfrau …«
    »Nein, denn du bist krank. Die Krankheit gibt dir Freiheit. Sie macht dich – halt, jetzt fällt mir ein Wort ein, das ich noch nie gebraucht habe! Sie macht dich genial!«
    »Wir wollen über Genie ein andermal reden. Nicht das wollte ich sagen. Ich verlange eines. Sie werden nicht fingieren, daß ich mit Ihrem Warten – wenn Sie gewartet haben – irgend etwas zu schaffen hätte, daß ich Sie dazu ermutigt, es Ihnen auch nur erlaubt hätte. Sie werden mir sofort ausdrücklich bestätigen, daß das Gegenteil der Fall ist …«
    »Gern, Clawdia, gewiß. Du hast mich zum Warten nicht aufgefordert, ich habe aus freien Stücken gewartet. Ich verstehe vollkommen, daß du Gewicht darauf legst …«
    »Sogar Ihre Zugeständnisse haben etwas Impertinentes. Überhaupt sind Sie ein impertinenter Mensch, Gott weiß, wieso. Nicht nur im Verkehr mit mir, sondern auch sonst. Selbst Ihre Bewunderung, Ihre Unterordnung hat etwas Impertinentes. Glauben Sie nicht, daß ich das nicht sehe! Ich sollte überhaupt nicht mit Ihnen sprechen deswegen und auch darum nicht, weil Sie von Warten zu reden wagen. Es ist unverantwortlich, daß Sie noch hier sind. Längst sollten Sie wieder bei Ihrer Arbeit sein, sur le chantier, oder wo es war …«
    »Jetzt sprichst du ungenial und ganz konventionell, Clawdia. Das ist ja nur eine Redensart. Wie Settembrini kannst du es nicht meinen und wie denn sonst. Es ist nur so hingesagt, ich kann es nicht ernst nehmen. Ich werde nicht wilde Abreise {902} halten, wie mein armer Vetter, der, wie du vorhersagtest, gestorben ist, als er versuchte, im Flachlande Dienst zu tun, und der es wohl selber wußte, daß er sterben werde, aber lieber sterben wollte, als hier weiter Kurdienst machen. Gut, dafür war er Soldat. Aber ich bin keiner, ich bin Zivilist, für mich wäre es Fahnenflucht, zu tun, wie er, und partout, trotz Radamanths Verbot, im Flachlande so ganz direkt dem Nutzen und dem Fortschritt dienen zu wollen. Das wäre die größte Undankbarkeit und Untreue gegen die Krankheit und das Genie und gegen meine Liebe zu dir, wovon ich alte Narben und neue Wunden trage, und gegen deine Arme, die ich kenne, – wenn ich auch zugebe, daß es nur im Traume war, in einem genialen Traum, daß ich sie kennen lernte, so daß dir selbstverständlich keinerlei Konsequenzen und Verpflichtungen und Einschränkungen deiner Freiheit daraus erwachsen …«
    Sie lachte, die Zigarette im Munde, daß ihre tatarischen Augen sich zusammenzogen, und ließ, gegen die Boiserie zurückgelehnt, die Hände neben sich auf die Bank gestützt und ein Bein über das andre geschlagen, den Fuß im schwarzen Lackschuh wippen.
    »Quelle générosité! Oh là, là, vraiment, genau so habe ich mir einen homme de génie schon immer vorgestellt, mein armer Kleiner!«
    »Laß das gut sein, Clawdia. Ich bin natürlich von Hause aus kein homme de génie, so wenig wie ich ein Mann von Format bin, du lieber Gott, nein. Aber dann bin ich durch Zufall – nenne es Zufall – so hoch heraufgetrieben worden in diese genialen Gegenden … Mit einem Worte, du weißt wohl nicht, daß es etwas wie die alchimistisch-hermetische Pädagogik gibt, Transsubstantiation, und zwar zum Höheren, Steigerung also, wenn du mich recht verstehen willst. Aber natürlich, ein Stoff, der dazu taugen soll, durch äußere Einwirkungen zum Höheren hinaufgetrieben und –gezwängt zu werden, der muß es {903} wohl im voraus ein bißchen in sich haben. Und was ich in mir hatte, das war, ich weiß es genau, daß ich von langer Hand her mit der Krankheit und dem Tode auf vertrautem Fuße stand und mir schon als Knabe unvernünftigerweise einen Bleistift von dir lieh, wie hier in der Faschingsnacht. Aber die unvernünftige Liebe ist genial, denn der Tod, weißt du, ist das geniale Prinzip, die res bina, der lapis philosophorum, und er ist auch das pädagogische Prinzip, denn die Liebe zu ihm führt zur Liebe des Lebens und des Menschen. So ist es, in meiner Balkonloge ist es mir aufgegangen, und ich bin entzückt, daß ich es dir sagen kann. Zum Leben gibt es zwei Wege: Der eine ist der gewöhnliche, direkte und brave. Der andere ist schlimm, er führt über den Tod, und das ist der geniale Weg!«
    »Du bist ein

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