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Der Zauberberg

Der Zauberberg

Titel: Der Zauberberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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ihn noch uns, wenn wir es menschlich zur Sprache bringen.«
    »Es handelt sich nicht um uns«, sagte sie und hatte die Arme wieder verschränkt. »Man wäre keine Frau, wenn man nicht um eines Mannes willen, eines Mannes von Format, wie du sagst, für den man ein Gegenstand des Gefühls und der Angst um das Gefühl ist, auch Erniedrigungen in den Kauf nehmen wollte.«
    »Unbedingt, Clawdia. Sehr wohl gesprochen. Auch die Er {906} niedrigung hat dann Format, und die Frau kann von der Höhe ihrer Erniedrigung herab zu denen, die kein Königsformat haben, so geringschätzig sprechen, wie du vorhin zu mir in betreff der timbres-poste, in dem Ton, worin du sagtest: ›Präzis und zuverlässig solltet ihr doch wenigstens sein!‹«
    »Du bist empfindlich? Laß das. Wir wollen die Empfindlichkeit zum Teufel schicken, – bist du einverstanden? Auch ich bin zuweilen empfindlich gewesen, ich will es zugeben, da wir heute abend so beieinander sitzen. Ich habe mich geärgert an deinem Phlegma, und daß du dich auf so guten Fuß mit ihm stelltest um deines egoistischen Erlebnisses willen. Dennoch hat es mich gefreut, und ich war dir dankbar, daß du ihm Ehrfurcht erwiesest … Es war viel Loyalität in deinem Betragen, und wenn auch etwas Impertinenz mit unterlief, so mußte ich sie dir am Ende zugute halten.«
    »Das war sehr gütig von dir.«
    Sie sah ihn an. »Es scheint, du bist unverbesserlich. Ich werde dir sagen: Du bist ein verschlagener Junge. Ich weiß nicht, ob du Geist hast; aber unbedingt besitzest du Verschlagenheit. Gut übrigens, es läßt sich damit leben. Es läßt sich Freundschaft damit halten. Wollen wir Freundschaft halten, ein Bündnis schließen für ihn, wie man sonst gegen jemanden ein Bündnis schließt! Gibst du mir darauf die Hand? Mir ist oft bange … Ich fürchte mich manchmal vor dem Alleinsein mit ihm, dem innerlichen Alleinsein, tu sais … Er ist beängstigend … Ich fürchte zuweilen, es möchte nicht gut ausgehen mit ihm … Es graut mir zuweilen … Ich wüßte gern einen guten Menschen an meiner Seite … Enfin, wenn du es hören willst, ich bin vielleicht deshalb mit ihm hierhergekommen …«
    Sie saßen Knie an Knie, er in dem vorwärts gewiegten Stuhl, sie auf der Bank. Sie hatte seine Hand gedrückt bei ihren letzten vor seinem Gesicht gesprochenen Worten. Er sagte:
    »Zu mir? O, das ist schön. O, Clawdia, das ist ganz außeror {907} dentlich. Du bist mit ihm zu mir gekommen? Und du willst sagen, mein Warten sei dumm und unerlaubt und ganz umsonst gewesen? Das wäre im höchsten Grade linkisch, wenn ich das Anerbieten deiner Freundschaft nicht zu schätzen wüßte, der Freundschaft mit dir für ihn …«
    Da küßte sie ihn auf den Mund. Es war so ein russischer Kuß, von der Art derer, die in diesem weiten, seelenvollen Lande getauscht werden an hohen christlichen Festen, im Sinne der Liebesbesiegelung. Da aber ein notorisch »verschlagener« junger Mann und eine ebenfalls noch junge, reizend schleichende Frau ihn tauschten, so fühlen wir uns, während wir davon erzählen, unwillkürlich von ferne an Doktor Krokowskis kunstreiche, wenn auch nicht einwandfreie Art erinnert, von der Liebe in einem leise schwankenden Sinn zu sprechen, so daß niemand recht sicher gewesen war, ob es Frommes oder Leidenschaftlich-Fleischliches damit auf sich hatte. Machen wir es wie er, oder machten Hans Castorp und Clawdia Chauchat es so bei ihrem russischen Kuß? Aber was würde man sagen, wenn wir uns schlechthin weigerten, dieser Frage auf den Grund zu gehen? Unserer Meinung nach ist es zwar analytisch, aber – um Hans Castorps Redewendung zu wiederholen – »im höchsten Grade linkisch« und geradezu lebensunfreundlich, in Dingen der Liebe zwischen Frommem und Leidenschaftlichem »reinlich« zu unterscheiden. Was heißt da reinlich! Was schwankender Sinn und Zweideutigkeit! Wir machen uns unverhohlen lustig darüber. Ist es nicht groß und gut, daß die Sprache nur
ein
Wort hat für alles, vom Frömmsten bis zum Fleischlich-Begierigsten, was man darunter verstehen kann? Das ist vollkommene Eindeutigkeit in der Zweideutigkeit, denn Liebe kann nicht unkörperlich sein in der äußersten Frömmigkeit und nicht unfromm in der äußersten Fleischlichkeit, sie ist immer sie selbst, als verschlagene Lebensfreundlichkeit wie als höchste Passion, sie ist die Sympathie mit dem {908} Organischen, das rührend wollüstige Umfangen des zur Verwesung Bestimmten, – Charitas ist gewiß noch in

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